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Kennst du eigentlich? Heute: Salon am Moritzplatz

Epische Ereignisse gefällig? Der Salon am Moritzplatz befindet sich im Gebäude einer alten Bank und versteht sich als offener Diskursraum. Ob Konzerte, Ausstellungen oder Online-Formate in Zeiten von COVID-19. Die Hauptsache ist, dass die Kultur gefördert wird!

In der Rubrik „Kennst Du eigentlich?“ stellen wir dir Orte vor, an denen Kunst gemacht, gezeigt, besprochen oder anderweitig zelebriert wird. In 10 Fragen und 10 Antworten lernst du nicht nur die Räume, sondern auch die Verantwortlichen dahinter besser kennen.

VASiSTAS:
Stellt Euch doch erst einmal vor, wer seid Ihr denn überhaupt?

Salon am Moritzplatz:
Wir, Teresa und Ossian, betreiben zusammen den Salon am Moritzplatz, seit 2013. Wir haben uns 2009 in Berlin kennengelernt  und uns miteinander in der Berliner Tanz – und Kunstwelt bewegt. Als sich uns die einzigartige Gelegenheit bot, diesen Raum am Moritzplatz zu bespielen, fingen wir erst einmal an unsere Freunde ins Haus zu holen. Durch unseren Background aus Studium, Freundeskreis und Familie haben wir ein großes Umfeld an Menschen, die sich beruflich im Bereich der Künste und der Kultur bewegen. Das war ein Ausgangspunkt für den Salon. Wir wollten den Musikern und Künstlern Raum und Bühne für ihren Auftritt schaffen.

Ossian Fraser und Teresa Steidle-Fraser vom Salon am Moritzplatz, ©Réne Loeffler

VASiSTAS:
Wo findet man Euch wann?

Salon am Moritzplatz:
Man findet uns in Berlin-Kreuzberg direkt am Moritzplatz in den Räumen einer alten Bank. Dort, wo momentan viele Neubauten entstehen und alles immer enger aneinander drängt. Wir haben aufgrund der unterschiedlichen Veranstaltungsformate auch unregelmäßige Öffnungszeiten. Das Programm findet man auf unserer Website und den Social Media Plattformen.

Salon am Moritzplatz, ©Réne Loeffler

„Vielleicht geht es darum, einen Ausgleich zu schaffen, produktiv mit dem Widerstand umzugehen und sich konstruktiv und aktiv am Zeitgeschehen zu beteiligen.“

VASiSTAS:
Und wo findet man Euch, wenn Ihr gerade nicht in der Galerie seid?

Salon am Moritzplatz:
Für den Salon müssen wir nicht um die Welt reisen, vieles entsteht in Berlin. Unser Netzwerk ist über die Jahre auf organische Weise gewachsen, eher wie bei der stillen Post. Anfangs waren wir häufiger vor Ort und haben die meisten Konzerte gehört. Da wir im Hinterhaus wohnen, sind die Grenzen ins Private oft fließend gewesen und wir waren eigentlich immer am Moritzplatz erreichbar. Mittlerweile sind wir eher selten im Salon und arbeiten an eigenen, neuen Projekten.

Innenansicht des Salon am Moritzplatz, ©Anton Oliar

Teresa beschäftigt sich mit dem Körper und der Bewegung im weiteren Sinne. Sie unterrichtet als Körpertrainerin und bildet sich mit dem Fokus auf Gesundheit in verschiedenen Bereichen weiter.

Bei Ossian ist es die Arbeit im Atelier, wobei viele Projekte in urbanen Räumen, der Natur und auf Reisen entstehen. Und was uns beide angeht: man findet uns oft in den Prinzessinnen-Gärten gegenüber, in diversen Lokalen rund ums Kottbusser Tor, auf dem Land oder in Schottland, wo Ossian geboren ist, und ein Teil der Familie noch lebt.

„Einer der Schlagzeuger wedelte mit einem Abflussrohr kreisförmig in der Luft herum und peitschte sein Schlagzeug wie ein störrisches Pferd.“

VASiSTAS:
Wie kam Berlin zu Euch?

Salon am Moritzplatz:
Berlin kam auf unterschiedliche Weise zu uns. Bei Teresa ist es der Tanz gewesen, aber auch familiäre Hintergründe. Ein Architekturbüro ihres Vaters befand sich in den Räumlichkeiten, die nun der Salon bespielt. Ossian ist fürs Studium an die Kunsthochschule in Berlin Weissensee gekommen.

Klar, in Berlin war und ist was los, die Stadt hat uns damals angezogen, das Unfertige, das kulturelle Program, das Nachtleben usw. Wobei der Hype echt ein Problem ist, und Berlin schon lange darunter leidet.

Jede Stadt entwickelt sich weiter, mit dem Preis, dass vieles unwiederbringlich verloren geht. Die Frage ist, worauf man den Fokus setzt, damit eine Stadt ihre Vielfalt und Besonderheit bewahrt. Wenn wir uns die Entwicklungen rund um den Moritzplatz der letzten zehn Jahre anschauen, stellen wir fest: Da hat sich in recht kurzer Zeit ein ziemlich vergessener und eingeschlafener Stadtteil rasant verändert.

Viele Orte, auch entlang des ehemaligen Grenzstreifens, sind nicht wiederzukennen. Es wird viel gebaut, der Verdrängungsdruck durch sprunghafte Mieterhöhungen ist nach wie vor groß. Da gibt es aber Gestaltungsspielräume und wir versuchen mit dem Salon dem etwas entgegenzusetzen und auch die Software der Stadt zu stärken. Vielleicht geht es darum, einen Ausgleich zu schaffen, produktiv mit dem Widerstand umzugehen und sich konstruktiv und aktiv am Zeitgeschehen zu beteiligen. Die Stadt wird jedenfalls weiterhin Menschen aus aller Welt anziehen, so wie sie uns auch angezogen hat.

John Fullbright aus New York im Salon am Moritzplatz, ©MarcHagen

VASiSTAS:
Gibt es einen Moment, der Euch besonders im Kopf geblieben ist?

Salon am Moritzplatz:
Tatsächlich sehr viele. Ein wirklich besonderer Moment war während eines Benefizkonzertes für Geflüchtete im Sommer 2015. Es fand den ganzen Tag über ein Konzert nach dem anderen statt. Auch spontane Konzerte auf der Mitte des Kreisverkehrs. Der Salon und die Stadt verschmolzen zu einer Bühne. Die Musiker haben sich der Reihe nach verausgabt, ein starker Moment der Solidarität. Der Moritzplatz war lebendig!

Das letzte Konzert fand am späten Abend im Salon statt, Phillip Groepper (Jazz Saxofonist) hatte ein dutzend Musiker um sich versammelt, Publikum und Musiker waren eine Crowd auf ca. 80 qm. Mit drei Schlagzeugern wurde die Lautstärke bis aufs äußerste ausgereizt. Einer der Schlagzeuger wedelte mit einem Abflussrohr kreisförmig in der Luft herum und peitschte sein Schlagzeug wie ein störrisches Pferd. Die Intensität hielt super lange an. Ein Freund aus den USA schrie mir von der Seite ins Ohr: This is Epic!

„Das heisst kein Profit. Der Gewinn wird der Kultur zur Verfügung gestellt.“

VASiSTAS:
Warum braucht Berlin Euch?

Salon am Moritzplatz:
Berlin ist nach wie vor eine international wichtiger Ort künstlerischer Produktion. Ob Berlin uns braucht, wird sich zeigen. Wir haben über die Jahre gesehen, dass nicht nur kleine Bands, Plattenlabels, bildende und darstellende Künstler dringend Räume suchen. Aber auch Galerien, Initiativen und kulturelle Institutionen nach Orten Ausschau halten, um außergewöhnliche Formate auszuprobieren oder einfach nur in entspannter Atmosphäre gemeinsam zu essen und sich auszutauschen. Dann gibt es da natürlich jede Menge junge Unternehmen, Firmen und Gründer, die alle einen ganz unterschiedlichen Bedarf haben, um ihre Ideen oder Produkte in die Öffentlichkeit zu bringen.

Der Salon versucht in dieser Hinsicht vielfältig zu agieren und bietet sich für eine temporäre Aneignung an, denn er ist direkt an die Stadt und das öffentliche Leben am Moritzplatz angebunden. Unser Programm deckt also ein breites Spektrum ab, wobei die Einnahmen durch Vermietungen der kulturellen und sozialen Arbeit an diesem Ort zugutekommen und die Räumlichkeiten tragen.

Hinterhof des Salon am Moritzplatz, @Salon am Moritzplatz

Das heisst kein Profit. Der Gewinn wird der Kultur zur Verfügung gestellt.
Für uns ist die Frage also umgekehrt, was braucht die Stadt, damit ihre besondere Energie nicht verloren geht? Und wer den Salon braucht, gestaltet ihn mit. Wir können nur den Rahmen schaffen, in dem diese Freiheit ihren Raum hat.

„Am Moritzplatz zeichnen sich die fortschreitenden städtebaulichen Veränderungen in Berlin besonders deutlich ab. Ein Park wird zur Neubausiedlung. Oder umgekehrt …“

VASiSTAS:
Wer oder was hat Euch inspiriert bzw. tut das vielleicht immer noch?

Salon am Moritzplatz:
Uns hat anfänglich tatsächlicher der Raum selbst inspiriert. Wer den Salon kennt, weiss wie stark die Räumlichkeiten wirken, die  lange Geschichte des Hauses scheint sich in den Räumen abgespeichert zu haben. Sie haben zwei Weltkriege und den Wiederaufbau überlebt. Es gab Zeiten, in denen dieses Haus und zwei Nachbarhäuser wie drei Zähne in einer Wüste aus Brachen und Trümmern stand. Das beeindruckt uns nachhaltig.

Wir kennen mittlerweile die Geschichte des Moritzplatz recht gut. Auf eine Art ist uns dieser Platz ans Herz gewachsen, man passt so gut es geht auf ihn auf. Mit der fortlaufenden Fotoserie »Der freie Platz« richtet Ossian seinen Blick auf den Berliner Moritzplatz. Da geht es darum wie sich unser Lebensmittelpunkt wandelt.

Am Moritzplatz zeichnen sich die fortschreitenden städtebaulichen Veränderungen in Berlin besonders deutlich ab. Ein Park wird zur Neubausiedlung. Oder umgekehrt, nach einem Abriss entstehen neue Räume. Bei dieser Dynamik ist Aneignung und Mitbestimmung im öffentlichen Raum natürlich ein Thema. Soviel zur Hardware.

Darüberhinaus inspiriert uns natürlich im Grunde vieles, was weltweit passiert. Es geht darum ein Gespür zu entwickeln für die Dinge, die sowohl auf der Strasse passieren, als auch im Verborgenen. Und natürlich inspirieren uns diejenigen, die sich in den letzten Jahren geistig und körperlich im Salon engagiert und ihre Arbeit öffentlich gezeigt oder performt haben.

„Gleichzeitig sind wir durch Covid-19 aufgefordert mit Ungewissheiten umzugehen. Wir werden vor allem zusehen, dass hier weiterhin ausgestellt, performt, musiziert, gelesen, nachgedacht und ausgetauscht wird.“

VASiSTAS:
Was steht in Zukunft an?

Salon am Moritzplatz:
Als wir vor sieben Jahren die Räume übernahmen, haben wir erstmal die Tapeten entfernt und den Teppichboden rausgerissen. Wenige Wochen später wurde die erste Ausstellung eröffnet.

Jetzt steht unmittelbar ein Umbau bevor. Die Räumlichkeiten werden renoviert und den mittlerweile entstandenen Anforderungen angepasst. Es finden neben einigen architektonischen auch strukturelle und inhaltliche Erneuerungen statt. Das Salon Team erweitert sich und gleichzeitig sind wir durch Covid-19 aufgefordert mit Ungewissheiten umzugehen.

Von daher klingt es momentan eher utopisch, aber wir haben vor, den Salon im September 2020 wieder zu eröffnen und den Launch unserer neuen Website zu feiern. Wir werden vor allem zusehen, dass hier weiterhin ausgestellt, performt, musiziert, gelesen, nachgedacht und ausgetauscht wird.

Ausschnitt der Ausstellung „Die Stadt als Detail“ kuratiert von Dirk Peuker. Das abgebildete Werk ist von Olivier Guesselé-Garai. ©Salon am Moritzplatz

„Wir erleben gerade einen turbulenten Start in die 20er Jahre. Wo ist eigentlich nicht Krise?“

VASiSTAS:
Was sollte man in nächster Zeit auf gar keinen Fall verpassen oder was kann man sich guten Gewissens sparen?

Salon am Moritzplatz:
Auch wir haben natürlich unmittelbar die Auswirkungen der Maßnamen im Zuge der Ausbreitung des Corona Virus zu spüren bekommen. Konzerte und Vermietungen sind bis auf weiteres verschoben. Es sind schwierige Zeiten, und man ist aufgefordert, gute Antworten und Wege zu finden, um etwas daraus zu lernen und zu machen.

Wir denken unabhängig von diesen Ereignissen auch schon länger über ein Online Konzert Format nach. Einem Podcast, Screenings mit Vorträgen und Interviews. Es wird in den kommenden Wochen im alten Tresor im Keller einige Live-Konzerte geben die online gestreamt werden. Ein bis zwei Musiker werden pro Konzert spielen. Es gibt also einiges zu überdenken und zu adaptieren, wobei es für uns schon von Beginn an wichtig war, mit wenig Vorlauf auf die Umstände zu reagieren und spontan etwas auf die Beine zu stellen.

Wir hoffen, dass wir im September mit dem Album Release (TWEET!) der Jazzband „The Bathing Birds“ den Salon wiedereröffnen können. Dann haben wir eine Initiative bei uns im Haus, die sich mit der Weiterentwicklung von Plastik beschäftigen. Dazu wird es hier im Salon eine DIY Station geben. In dieser Zeit finden außerdem Workshops & Panel Talks statt, wo jedem Besucher die Vielfalt von den unterschiedlichen Plastikarten als nachhaltigen Rohstoff näher gebracht wird. Jeder ist willkommen und kann sich ein selbst recyceltes Give-Away aus PET o.a. mit nach Hause nehmen.

VASiSTAS:
Habt Ihr zum Ende noch ein treffendes Schlusswort oder eine Lebensweisheit für unsere Leser*innen?

Salon am Moritzplatz:
Wir erleben gerade einen turbulenten Start in die 20er Jahre. Wo ist eigentlich nicht Krise? Der Rechtsruck in vielen Ländern, Menschen auf der Flucht, der Klimawandel und jetzt die Erschütterungen durch eine Pandemie, die Liste geht weiter. Die Folgen sind nicht abzusehen, fest steht aber, dass sie sich in allen gesellschaftlichen Bereichen niederschlagen. Man wünscht jedem einzelnen und der Menschheit da viel Lebensweisheit! Aber vor allem globale Solidarität und baldige, konkrete Wege und Lösungen für die drängenden Probleme. Die Frage ist also nicht, in welcher Welt wir leben wollen.

Mehr denn je ist klar, die Zukunft ist Jetzt! Es ist ungemütlich geworden, und wir spüren es vielleicht zum ersten Mal andeutungsweise am eigenen Leib. Es ist eine Chance, kleine alltägliche Dinge sofort zu verändern aber auch um über große Themen zu sprechen und für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu kämpfen.

Der Salon kann auch hier einen Beitrag leisten und sich auch in seiner ursprünglichen Form als Diskursraum zur Verfügung stellen. Ob Nachbarn, Künstler, Architekten, Wissenschaftler, alle sind eingeladen und aufgefordert, sich zu beteiligen und auf Augenhöhe auszutauschen. Es ist die Zeit der Kooperation. Wir werden aber auch dafür sorgen, dass der Salon anstoßbar bleibt und die Besucher gut unterhalten werden.

WORD! Danke Teresa und Ossian für dieses starke Interview. Es war mir eine große Freude mich mit euch auszutauschen.

Mit dem Release Concert des Albums TWEET! von Marcel & the Bathing Birds wird der Salon im September 2020 wiedereröffnet.

Es gibt keine regelmäßigen Öffnungszeiten, aber meldet euch einfach unter info@salonammoritzplatz.de oder über die sozialen Netzwerke, wenn ihr vorbeischauen wollt.

Mehr Infos zum Salon am Moritzplatz gibts auf der Website, Facebook und Instagram.

Du willst über einen ganz bestimmten Ort noch mehr wissen? Dann schreib uns gerne, was dich noch interessiert!

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