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Verblichene Gesellschaft. Ein Rückblick auf das 8. f/stop Festival für Fotografie 

Letzten Sonntag endete die 8. Ausgabe des f/stop Festivals in Leipzig. Der Titel „Zerrissene Gesellschaft“ lockte nicht nur die üblichen Gestalten der Kunst- und Fotografieszene, denn beim Besuch stießen die auch auf Verschwörungstheoretiker*innen und politisch Interessierte. Welchem Anspruch wurde das Festival gerecht?

Von Miriam Klugmann

Bei den „Sprechenden“ unterhält sich keiner.

Uns ist klar, dass unsere Gesellschaft zerrissen ist. Sogar CDU und CSU sind das zurzeit. Was hatte also Fotografie damit zu tun beim diesjährigen f/stop? Vom 23. Juni bis letzten Sonntag, den 1. Juli, konnten Fotografie-affine Besucherinnen und Besucher das herausfinden. In der Hauptausstellung in der Spinnerei, beim „In Situ“ auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz und durch die Filmreihe im Luru-Kino wurde deutlich: Es ging ein bisschen um die Darstellung besagter Gesellschaft ab der Zeit der Wiedervereinigung, aber es ging auch um ganz viel Meta.

Fotografie als (ein bisschen unzulängliches) Werkzeug

Denn Fotografie wird hier verstanden als eine Möglichkeit Zeit zu fixieren: Die Darstellung der Gesellschaft anhand fotografischer Mittel stand im Vordergrund. Doch dieses „Werkzeug zur Beobachtung und Reflexion“ bekommt einen Partner, der als „Korrektiv und Gegenüber“ fungieren sollte – Zeichnungen, die das Kurator*innen-Duo Anne König und Jan Wenzel (Spector Books-Verleger btw) gleichberechtigt neben die Fotografie platziert. Denn darin, so heißt es in der Pressemitteilung, ließen sich „Fakt und Imagination auf andere Weise verbinden“.
Das hebt hervor, wie umstritten Fotografie als Medium der Wissensvermittlung in der „Zerrissenen Gesellschaft“ wirkt.

Fotografie ist nicht gut genug auf dem f/stop 2018.

Das Imageproblem der Fotografie unserer Zeit ist ihre Manipulierbarkeit und ihre Manipulierfähigkeit: Kann die Betrachter*in dem trauen, was sie sieht? Wird hier gelenkt? Aber auch ohne Lügenpresse-Unkenrufe hat Fotografie Grenzen und zeigt ganz Vieles nicht. Leerstellen, denen hier Zeichnungen gegenüber gesetzt werden. Wäre es jetzt nicht schön, wenn durch so ein Themenspektrum Gespräche angeregt würden? Wenn beim Gang durch Ausstellung der visuelle Reiz gelegt würde, der Lust macht, die Rollen und Möglichkeiten von Fotografie zu diskutieren?

Leerstellen schließen – Leerstellen öffnen. Was denn nun?

Problematisch ist die dem verlegerischen Anspruch geschuldete Textlastigkeit in der Hauptausstellung. Die prominenten Stellen der Texttafeln sind dabei das Eine, Aufmerksamkeit-heischende. Das Andere ist deren Inhalt: Minimal ist was anderes, soll ja jetzt auch gar nicht sein, aber blöd ist, wenn sich trotzdem auch da Leerstellen auftun.

Teile von Kriemanns Schleichender Gewalt. Hinten: Pechblende – Der Uranabbau in der DDR und seine Folgen, Fotografien aus den Jahren 1986 bis 1992 von Michael Beleites.

Gleich zu Beginn der Ausstellung in Halle 12 treffen Besucher*innen zum Beispiel auf „Ereignisse von langer Dauer“, mit Fotografien vom „Uranbergbau in der DDR und seine[n] Folgen“ von Michael Beleites. Was sie sehen: Zum Teil mit versteckter Kamera aufgenommene Fotografien der kontaminierten Landschaft, die der von der Stasi verfolgte Beleites im Juni 1988 als selbstgedruckte Untergrundschrift veröffentlichte. Was sie auch sehen: ein „Gegenüber“ zur Fotografie, das heißt in dem Fall eine Installation der Künstlerin Susanne Kriemann, mit der sie die an sich unsichtbare Strahlung verbildlicht. Außerdem sehen sie eine ganz große Texttafel, die das erklärt. Was sie nicht sehen ist, dass Beleites zuletzt als Referent für das neurechte Institut für Staatspolitik auftrat.

Wie hübsch das Werkzeug schweigen kann

Wie der Pegida-Aktivist aus Dresden in das Festival, das auch die TAZ zu seinen Medienpartnern zählt, passt, steht nicht auf der ganz großen Texttafel. Wenn die Einordnung thematisiert wurde, dann einem kleinen Kreis derer, die an einer der insgesamt vier der Kurator*innen-Führungen teilnahmen. Die Mehrheit der Festivalbesucher*innen aber dürfte sich wundern. Oder: Sie geht daran vorbei und merkt nichts. Halleluja zum Dialog zwischen Fotografie und anderen künstlerischen Darstellungsformen und eh, wie hübsch das Werkzeug Zeit fixieren kann, wie hübsch das Werkzeug schweigen kann, über den Lauf der Zeit. Wie wenig ein Text sagen kann und wie gut sich damit alles in den Rest der Ausstellung fügt. In der Leipziger Volkszeitung vom 23. Juni wird die Entwicklung der Beleites’schen Gesinnung in dem Zusammenhang übrigens als „Finte der Geschichte“ bezeichnet.

Zur „Rekonstruktion einer Minute“ gab es zwischen Forensic Architecture (hier: 77 sqm_9:26 min – Video, 2017) und den Bruchlinien von Bulling und König (s.u.) viel zu sagen.

Geht man dann den Gang geradeaus und hält sich rechts, so stößt man auf die „Rekonstruktion einer Minute“: Die Arbeit „Der Mord an Halit Yozgat“ des Kollektivs Forensic Architecture, die in den Dialog tritt (da ist er wieder) mit Paula Bulling’s und Anne König’s Comic „Bruchlinien. Drei Episoden zum NSU“. Die Arbeiten behandeln also einerseits sekundengenau mit fotografischen Mitteln und aus allen nur denkbaren Blickwinkeln den Mord an Yozgat (Forensic Architecture) und beschreiben andererseits mit den Mitteln von Text und Zeichnung ein von der Justiz vernachlässigtes aber für die Dynamik des NSU aussagekräftiges Material (Bulling und König).

Bruchlinien. Drei Episoden zum NSU, 2018, Zweifarbige Zeichnung im Wandformat von Paula Bulling (Zeichnung) und Anne König (Text).

Das ist spannend und examplarisch dafür, wie ein komplexes Thema anhand unterschiedlicher visueller Mittel beleuchtet werden kann, wie es eine Gerichtsverhandlung offenbar nicht kann, wie es ein reiner Text nicht kann, auch nicht die ganz große Texttafel. Aber: Diesmal funktioniert das Zusammenspiel.
So bewegen sich Besucher*innen in der Halle 12 zwischen ganz großen Texttafeln und mal mehr, mal weniger in Dialog tretender Fotografie. Wir haben es also einerseits mit dem Anspruch zu tun, Fotografien zu zeigen und andererseits die Grenzen von Fotografie aufzuzeigen und zu thematisieren. Es geht darum, wie schwierig die Rezeption von Fotografie sein kann, gerade im Zusammenhang mit der „Zerrissenen Gesellschaft“ und wie das Medium genutzt werden kann.

Das ist doch löblich. Schade nur, wenn man schnell merkt, dass am Ende doch Wunsch und Wirklichkeit auseinander gehen. Fotografie in ein großes Ganzes einzubetten und die sogenannten Leerstellen zu schließen oder zumindest aufzeigen, dass es sie gibt, könnte vielen Menschen richtig Spaß machen.

Wen kümmert die Gesellschaft überhaupt?

Aber was bringt es, wenn diesem Anspruch die Realität der Ausstellung gegenüber steht, in der den Besucher*innen Informationen zur besseren Einordnung des zu Sehenden vorenthalten werden. Ganz zu schweigen von dem immer wieder kehrenden Phänomen von Ausstellungen, in denen es ganz offiziell darum geht, „Brücken zu bauen“, „Dialoge zu entfachen“ oder „in Verbindung zu treten“: Mit wahlweise völlig verwirrenden Textwüsten versehenen Museumslandschaften oder kahlen Galeriefluren, die den zum Dialog durchaus bereiten Besucher*innen so gar keine Informationen geben wollen. Das klappt erfahrungsgemäß selten. Man bleibt dann am Ende vielleicht doch gern unter sich. Denn seien wir mal ehrlich: Der gemeine Pegidist geht nicht zum f/stop Symposium.

f/stop 2018-Festivalbändchen reißt nicht. Verblichen nur der Text: Zerrissene Gesellschaft.

Auf der Strecke blieb am Ende die Gesellschaft, der es verwehrt wurde einen Zugang zu dieser Diskussion um Grenzen und Möglichkeiten von Fotografie zu finden. Und wenn Auswüchse der Zerrissenheit nicht thematisiert wurden wie bei Beleites, fragt man sich doch, wen da die Gesellschaft überhaupt noch kümmert? Schließlich kann man doch ein paar Meter weiter die Ausmaße der Zerrissenheit in aller Ausführlichkeit ausbreiten: Im Scheinwerferlicht der Empörung des allgemeinen Konsens kann man hier allen zeigen, was Fotografie alles kann und nicht kann, und vor allem, was dieses Festival alles kann und nicht kann.

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