Kategorien
Artikel Interviews

Steve Braun – Der „V-Mann“ in Franken

Ein Interview über ein Buch, die Punkszene in Franken, Exzesse und „Frieden! Freiheit! Abenteuer!“.

Unser featured Artist Steve Braun hat lange Zeit die Punkszene in Nürnberg begleitet. Über die Jahre entstand so ein unerschöpflicher Fundus an Bildmaterial. Mit dieser fotografischen Sammlung will der Künstler jetzt unter dem Titel „V-MANN“ auf 580 Seiten der Szene ein Denkmal setzen. Bei „Startnext“ sucht er dafür jetzt Unterstützer*innen. Ganz corona-konform haben wir uns mit dem Künstler zu einem E-Mail-Interview getroffen.

Selbstportrait des Künstlers, Foto: Steve Braun
Hallo, Steve. Gleich die erste Frage: Wie kam es zu dem Titel (des Buches) „V-MANN“?

STEVE:
Naja, Kameras sind prinzipiell in linken Kreisen nicht gerne gesehen und auch die Nürnberger Szene hatte, nach eigenen Aussagen, schon öfters mit V-Männern zu tun. Das Misstrauen war wohl noch immer immens. Als ich anfing zu fotografieren, kannte ich die Leute bereits und wir hingen immer mal wieder zusammen bei Konzerten ab, dabei becherten wir immer fleißig. Komasaufen par excellence. Ich studierte zu diesem Zeitpunkt Fotografie in der Klasse von Juergen Teller und fand die Szenarien einfach zu geil, um sie undokumentiert zu lassen. Plötzlich kam der Verdacht auf, ich wäre ein V-Mann, ein Zivi-Bulle, der sich perfekt im Rauschzustand tarnte. So erhielt ich meinen Spitznamen. Der Zweifel verschwand, der Name blieb.

„Als Steve Braun von seinem Projekt erzählte, dachte ich mir: „Fick dich! Du bist sicherlich ein verdeckter Ermittler. Wäre ja nicht das erste Mal.“ Ich habe ihn an einem sturzbetrunkenen Abend deshalb sogar bedroht. Aber tolle Bilder macht der V-Mann schon. Also einfach mal machen lassen und abwarten, was dabei herauskommt.“

Nille Hangoverson, der Asoziale Landesvater Bayerns

Foto: Steve Braun
Gab es Anfangs Vorbehalte oder Vorurteile gegenüber einem Künstler?

STEVE:
Nicht wirklich. Wieso auch? Dass ich Künstler bin, hat niemanden gejuckt. Ich glaube, die haben mich nie als Fotografen oder Künstler ernst genommen. Um es mit Nilles Worten zu sagen:

„Um es mal klarzustellen: Ich finde Kunst grundsätzlich scheiße! Die geistigen Hirnficks erschließen sich entweder nur einer blasierten, selbsternannten Elite oder einer Masse von langsam verwesenden Zombies. Davon kriege ich einfach keinen Ständer.“

Wahrscheinlich war das sogar eher ein Vorteil, denn so konnte ich unverstellte Aufnahmen machen und man nahm es mir nie krumm, wenn ich mich im Vollsuff wie ein pöbelnder Vollidiot aufgeführt habe. Mal abgesehen davon, habe ich selten so eine inklusive Truppe getroffen. Kam mir manchmal vor wie in einem Jugendclub, wo jeder sein Ding macht und man einfach zusammen chillt. Bei uns war jeder willkommen, jeder, außer irgendwelchen Faschos.

Wie bist Du darauf gekommen, bzw. in die Szene gekommen?

STEVE:
Bin mal falsch abgebogen oder hatte mich im Termin geirrt. Wollte eigentlich auf ein Metalkonzert gehen, bin dann aber im Projekt 31 gelandet, so einem alternativen Zentrum. Unten war dann nicht das erhoffte Konzi, sondern eine Schrammeltruppe von Punkern, die gerade ihre Gitarren misshandelten und vom Publikum aufgezogen wurden. Fand die Stimmung und Energie geil, die sich in diesem Keller abspielte. Irgendwann landete man im Pogo, dann an der gleichen Bar und danach in meiner, bis zum heutigen Tag, liebsten Punker WG. Fands einfach geil, dass die Leute so echt waren, nicht wie dieser ganze gepuderte Scheiß dort draußen. Echte Menschen, echte Biografien und vor allem ne Menge Spaß.

Foto: Steve Braun
Warst du schon vorher selbst Punk?

STEVE:
Würde mich bis heute nicht als Punk bezeichnen, aber das kommt wohl eher durch die Prägung. Ich komme ursprünglich aus der Metalszene aus Mecklenburg-Vorpommern, wenn man das denn Szene nennen kann. Immerhin war die so winzig, dass wir auch dort mit Punks, Goths oder Skatern aus allen Kleinstädten und Dörfern abhingen. War ein bunter Mix und irgendwie war alles dabei. Deswegen fühle ich mich immer noch eher meinen Wurzeln zugehörig, aber eigentlich besteht der Großteil meines Freundeskreises mittlerweile aus Punks. Die haben mich natürlich extrem beeinflusst, zum Positiven, wie ich meinen will. Deswegen sehe ich zwar meine Wurzeln woanders, aber von der Haltung fühle ich mich eher den Punx verpflichtet. Sind einfach super Leute und die Zeit werde ich nie vergessen.

Sind während dieser Zeit bleibende Freundschaften entstanden?

STEVE:
Definitiv! Bin zwar vor einigen Monaten nach Berlin gezogen, aber alleine telefonisch oder per Online-Kneipe halten wir Kontakt. Vor kurzem, als hier ne Demo war, kamen einige nach Berlin und das alte Nürnberg Asozial Feeling war wieder vorhanden. Die Leute sind eh ständig am touren, also sieht man sich so oder so. Wenn man mal gemeinsam von den Bullen gefickt wird, schweißt das auch ordentlich zusammen. Die Leute haben meine Perspektive auf Dauer beeinflusst. Ich wäre froh, die Zeit noch einmal durchleben zu können.

Foto: Steve Braun
Was kann die Gesellschaft von der Punkszene lernen?

STEVE:
Masse statt Klasse! Zumindest, wenn es um Bier geht.
Ich denke, man könnte einige Lehren aus diversen Geschichten ziehen, aber vor allem die Verweigerungshaltung gegenüber der Verwertungsgesellschaft, ist für mich ein absolut relevantes Statement. Auch die Erlaubnis, mal scheiße zu sein und nicht zu funktionieren. Am nächsten Morgen aufzuwachen, sich scheiße zu fühlen und dann zum nächsten Bier zu greifen. Zeit juckt einem in diesem Moment einfach nicht.

Heutzutage ist alles so glattgebügelt, dass man schlichtweg das Interesse an der Welt verliert und wenn mal was Provokantes heraussticht, entpuppt es sich nur als ein weiterer Werbetrick, um den Verkauf anzukurbeln. Schon scheiße, wenn alles, auch die eigene Haltung zu einem Produkt wird (Ich bin mir der Ironie bewusst). Da empfand ich es zumindest als erfrischend, endlich mal auf Menschen zu treffen, die fernab der Massenkultur und der Karriereleiter, ohne lückenlosen Lebenslauf, leben.

Mehr zum Projekt gibt’s auch hier im Video:

Warum sollte man das Buch kaufen? Vielleicht auch als nicht zur Szene gehörende(r) Leser*in?

STEVE:
Simpel. Geile Geschichten, geile Fotografien und ein Stückchen Geschichte!
Hier kannst auch auch mal Punks sehen, die nicht im Altersheim sitzen oder bereits unter der Erde liegen.

Dieses Buch ist mehr als eine schnöde, dokumentarische Fotoreihe über Punk. Dieses Buch ist ein Herzensprojekt, an dem ich viereinhalb Jahre in direkter Zusammenarbeit mit der Szene, gearbeitet habe. In diesem Buch findest du die Lieblingsmenschen der besten Subkultur und bist direkt bei unseren Absturzpartys dabei. Hier gibt’s wieder ein wenig Sehnsucht nach dem Leben. Purer und unverstellter geht einfach nicht! Zwei Kumpels, die echte Punk Veteranen aus Nürnberg sind, haben Texte beigesteuert, die das ausdrücken, was ich mit den Bildern nicht sagen kann. Glaub mir, auch wenn du kein Punk bist, nach diesem Buch wünschst du dir einer zu sein.

Und zum Schluß, nach dem kleinen Werbeblock für’s Buch:
Was bedeutet das Motto „Frieden! Freiheit! Abenteuer!“ für Dich?

STEVE:
Möglicherweise die beste aller Ambitionen für ein selbstbestimmtes Leben.

Danke Dir für die Zeit und das feine Gespräch und toi toi toi für’s Buch!

Du bist der Meinung so ein Buch muss es einfach geben?

Dann unterstütze das Projekt jetzt!

Nichts von uns verpassen?

Dann melde Dich doch gleich für unseren kostenlosen E-Mail-Newsletter an!