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Das Makroscope – Ein buntes Gemisch aus Kunst, Technik und Forschung

Das Kulturzentrum in Mülheim an der Ruhr gilt nicht nur als Brutstätte für manch kerative Idee, sondern ist auch Epizentrum der Fotokopie – eine Ende der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre entstandene Kunstrichtung. Seit nun mehr als 35 Jahren sammelt und erforscht das Museum für Fotokopie (M.F.F.) die Copy Art, Kopiergeräte und Kopiermaterialien.

Mit am Bord, Künstlerin Mari Lena Rapprich. Seit 2018 pendelt sie zwischen ihrem Atelier in Bremen und den Räumen im ehemaligen Kaufhaus für Schreibwaren, auf der Friedrich-Ebert-Straße in Mülheim an der Ruhr.

Das makroscope im Jahre 2018, ein Foto von Ole-Kristian Heyer.

Raiko:
Mari, Du bist nicht nur freischaffende Künstlerin, sondern auch seit geraumer Zeit für das Makroscope – Zentrum für Kunst und Technik als Kuratorin tätig. Wie kam es dazu und inwiefern hat es auch etwas mit deiner künstlerischen Praxis zu tun?

Mari:
Mich haben schon immer auch die Formate als solches interessiert – Seit jeher arbeite ich in künstlerischen Projekten und verstehe mich als Initiatorin, Organisatorin und Kuratorin. Oftmals passiert das in Zusammenarbeit mit anderen, in den letzten Jahren aber auch vermehrt einzeln. Mir macht es Freude Dinge zusammen zu führen und gemeinsam zu zeigen, das bezieht sich sowohl auf künstlerische Positionen als auch auf Themen. Manches will ich einfach zusammen Sehen und gemeinsam Denken.

Von daher hat das wissenschaftliche und kuratorische Arbeiten viel mit meiner künstlerischen Arbeit zu tun bzw. mit meinen künstlerischen Strategien und meiner Haltung. Ich würde das auch nicht getrennt voneinander betrachten wollen, da sich die unterschiedlichen Bereiche bedingen und rhizomatisch ineinander greifen – natürlich sind die Menschen dahinter und die Begegnungen mit ihnen auch immer relevant und entscheidend. Aber genau eine dieser Begegnungen hat mich nach Mülheim geführt:

2017 war ich von Jan Ehlen eingeladen, Teil des Teams des SHINY TOYS Festival für audio-visuelle Experimentalkultur zu werden. Damals bin ich auch das erste Mal auf Klaus Urbons getroffen – Der Typ der seit nun über 35 Jahren das M.F.F. Museum für Fotokopie betreibt und unermüdlich forscht, schreibt, macht. Und seither bin ich Teil des SHINY TOYS’, des M.F.F.’s, des Makroscope’s und irgendwie auch des Ruhrgebiets.

„Mir macht es Freude Dinge zusammen zu führen und gemeinsam zu zeigen, das bezieht sich sowohl auf künstlerische Positionen als auch auf Themen. Manches will ich einfach zusammen Sehen und gemeinsam Denken.“

Raiko:
Was erwartet mich als Besucher*in bei euch?

Mari:
Hier im Makroscope sind viele unterschiedliche Gewerke unter einem Dach, wie das schon erwähnten SHINY TOYS Festival, das M.F.F. Museum für Fotokopie, aber auch das Schallplatten und Kassetten Label Ana Ott, die Ateliers und verschiedene Akteur*innen in verschiedenen Konstellationen. Es ist Veranstaltungsort, Arbeitsplatz und Wohnort. Im Makroscope erwartet einen ein vielseitiges Programm aus Veranstaltung wie Ausstellungen, Konzerten, Lesungen und Workshops, aber auch ein Coworking-Raum in der alten Schreibmaschinenwerkstatt, ein multifunktionaler Raum für Gruppen, Proben und unterschiedlichste Vorhaben und natürlich das Museum für Fotokopie. Das alles mit ein bisschen Spleen, der notwendigen Naivität und Experimentierfreude.

„Im Makroscope erwartet einen ein vielseitiges Programm aus Veranstaltung wie Ausstellungen, Konzerte, Lesungen und Workshops, aber auch ein Coworking-Raum in der alten Schreibmaschinen-Werkstatt“

Das Gebäude in dem sich das Museum für Fotokopie (M.F.F.) befindet, hat eine bewegende Vergangenheit. Während in den 1930er Jahren Nazis ein- und ausgingen, waren es nach dem Krieg vor allem zahlungskräftige Kund*innen, die das Bild des neu eröffneten Kaufhauses für Schreibwaren prägten. Foto: makroscope.

Raiko:
Mit der Erfindung der Elektrofotografie wurde nicht nur die Arbeitswelt revolutioniert, sondern auch die Kunst. Welche Künstler*innen, die sich eventuell auch bei euch in der Sammlung befinden, waren große Verfechter*innen der Fotokopie?

Mari:
Die Sammlung des M.F.F. Museum für Fotokopie umfasst gleich eine ganze Liste an Pionier*innen – Damals wie heute. Um nur einige wenige Namen zu nennen Pati Hill, David Hockney, Daria Huddy, Jürgen O. Olbrich, Lieve Prins, Sonia Sheridan oder die I.S.C.A. (International Society of Copy Art), die G.A.F. (Global-Art-Fusion) und The Rapid Publisher.

Copy Art ist eng verbunden mit der Mail Art und den Strömungen um die Fluxus Bewegung herum. Oftmals ging es um das schnelle, billige Produzieren von Unikaten. Und das auf Knopfdruck. Es gab und gibt nichts, was nicht kopiert werden kann:

Pati Hill hat in einer Reihe ihren Kleiderschrank als Kopiervorlage genutzt, Jürgen O. Olbrich tanzte in weißen Lederschuhen auf einem Kopiergerät Rock’n’Roll, Daria Huddy zeigt in ihren neuesten Videoarbeiten wie man die moderne Technik der Kopiergeräte übergeht und führt ihre Reihe an Selbstportraits fort, The Rapid Publishers machen mit Ihren Zines das Kopieren zum Happening und schon damals schickte die “Global-Art-Fusion” (1985) eine Kopie via Faxgerät um die Welt, von Joseph Beuys in Düsseldorf zu Kaii Higashiyama in Tokyo zu Andy Warhol in New York.

Copy Shoot. Foto: makroscope

Raiko:
Jede*r kennt es, man möchte etwas kopieren, doch der Kopierer macht nicht das was er soll. Was viele zur Weißglut treibt, ist für andere ein Stilmittel. Kannst du uns einen groben Überblick über die Techniken der Copy Art geben?

Mari:
Der Begriff der Copy Art ist sehr weitläufig und umfasst verschiedene Medien: Ob Einzelblatt, Reihe oder Serie, Großformate, Editionen, Bücher, Kassetten, Objekte, OHP-Folien, Dias, Mikrofilm, Performances oder Video. Auch die Anfänge der Medien Kunst und der Umgang mit dem Scanner können zur Copy Art gezählt werden, genauso wie manche Verfahren der analogen Fotografie wie die Cyanotypie. Dennoch haben sich, in den Hochzeiten der Copy Art der 1980er Jahre, verschiedene Kopierverfahren und Weiterverarbeitungen etabliert wie die Realkopie, Copy Motion, Copy Generation und Overlay (Copy on Copy).

Bei der Realkopie funktioniert das Kopiergerät als Kamera, dabei dienen reale Objekte als Vorlage. Bei der Copy Motion wird die Bildvorlage während des Kopiervorgangs bewegt und gerät dadurch in Bewegung. Bei der Copy Generation handelt es sich um die Kopie der Kopie der Kopie… Durch das abermals wiederholte Kopieren löst sich die Vorlage in eine autarke, meist abstrakte, Bildstruktur auf. Bei Copy on Copy dient das Überlagern meist auch unterschiedlicher Kopiervorlagen als Mittel um zu neuen Bildformen zu kommen. Wichtige Eigenschaften jeder Copy Art sind die technischen Eigenschaften des Kopiergeräte wie der Zoom, das Stauchen, der Tonerauftrag o.ä. Um den Begriff der Copy Art noch zu erweitern und auch in aktueller Kontexte zu verschieben, würde ich heute auch die Zine-Szene und DIY-Szene mit einbeziehen genauso wie das Tätowieren.

„Die Sammlung an Kopiergeräten umfasst derzeit rund 80 Geräte, schätzungsweise sind gut 1⁄3 aller Geräte noch voll funktionsfähig und einsatzbereit.“

Raiko:

In eurer Sammlung befinden sich Kopiergeräte aus über 100 Jahren, sind diese noch im Takt und wie steht es eigentlich mit der Instandhaltung? Vor welchen Problemen könntet ihr zukünftig stehen?

Mari:
Der Erhalt von technischen Geräten und ihre Funktionalität ist die große Herausforderung für Archive, Sammlungen und Restauratorin in den kommenden Jahrzehnten. Auch wir im M.F.F. müssen uns durchgehend die Frage stellen, wie wir Geräte, Ersatzteile und notwendige Materialien für die Kopierprozess, wie zum Beispiel Toner oder spezielle Papiere, erhalten. Das Material Kunststoff, aus dem die meisten Geräte gebaut sind, stellt uns hierbei vor enorme Schwierigkeiten. Unsere Strategie ist vor allem das Sichern von Wissen – zum einen das technische Wissen zur Reparatur von Kopiergeräten, aber auch zu den technischen Verfahren oder auch chemischen Prozessen, zum anderen natürlich zu den einzelnen Kopierverfahren an sich und zu den speziellen Nutzung der einzelnen Geräte. Die Sammlung an Kopiergeräten umfasst derzeit rund 80 Geräte, schätzungsweise sind gut 1⁄3 aller Geräte noch voll funktionsfähig und einsatzbereit. Alle anderen Geräte müssten entweder technisch überholt werden oder es fehlen die notwendigen Materialien. Einige dienen auch nur noch der reinen Veranschaulichung bzw. stehen Stellvertretend für Entwicklungen der Fotokopie.

„Auch wir im M.F.F. müssen uns durchgehend die Frage stellen, wie wir Geräte, Ersatzteile und notwendige Materialien für die Kopierprozess, wie zum Beispiel Toner oder spezielle Papiere, erhalten“

Aufbau vom Video-Set „Die Magie der Kopie“, zu sehen auf dem Bild ist Chester F. Carlson, Erfinder der Xerografie. Foto: makroscope

Raiko:

Corona wütet, auch bei euch. Inwiefern seid ihr als Museum davon betroffen?
Wie geht ihr damit um und wie kann man eure Arbeit trotz allem unterstützen?

Mari:
Die aktuelle Situation stellt uns alle vor neue Herausforderungen und Bedingungen. Auch wir mussten und müssen umdenken, da an einen normalen Betrieb derzeit nicht zu denken ist. Für das M.F.F. bedeutet das konkret, dass wir zum einen nicht wie gewohnt immer donnerstags geöffnet haben und zum anderen keine Veranstaltung wie Eröffnungen, Ausstellungen, Workshops oder dergleichen durchführen können. Ähnliche verhält es sich für das gesamte Makroscope und die anderen Gewerke. Jedoch geht die Arbeit natürlich weiter und wir hatten in den letzten Monaten nicht weniger sondern eher mehr zu tun – Wir haben unseren komplettes Programm umstrukturiert und angepasst. Da man Ausstellungsformate eben nicht 1:1 ins digitale überführen kann und ein persönliches Zusammenkommen beim Getränk zu einer Eröffnung oder einem Release eben nicht durch Live-Plattformen ersetzt werden kann, haben wir versucht für uns neue, passende Formate zu erarbeiten und nun ein stück weit zu etablieren wie die Interviewreihe “Die Magie der Kopie”, das M.F.F. TV für Lesungen oder kurze Mitschnitte aus unserem Museums-Alltag und auch das M.F.F. Radio, welches nun immer am letzten Donnerstag im Monat erscheint und ein Copy Sound-Klang-Experiment ist.

Raiko:

Im April diesen Jahres habt ihr eine neue Edition auf dem Markt gebracht.
Kannst du uns mehr darüber erzählen?

Mari:
Ein ganz wesentlicher Bestandteil unserer Museumsarbeit ist auch die Forschung. Seit Beginn des Museums, 29. März 1985, war es Klaus Urbons immer ein großes Anliegen Kunst, Technik und Wissenschaft gemeinsam zu denken und auch in musealen Kontexten gemeinsam zu zeigen – Auch deshalb liegen unsere jetzigen Schwerpunkte im Archiv und in unserer Museumsarbeit auf den Bereichen Copy Art, Technik und Dokumentarischem Material. Dabei geht es auch immer um die regionalen und internationalen Bezüge.

Das Buch “Von der analogen Kopie zum digitalen Workflow”* liefert eine Dokumentation der fast vergessenen Geschichte der modernen Bürokopie und deren enge Verbundenheit zum Rheinland. Im Rheinland wurde die Fotokopie erfunden: Edith Weyde gilt als eine der Erfinder*innen der Fotokopie und hat das Copy-Rapid-Verfahren entwickelt, auch genannt die Blitzkopie. Die erste Fotokopie in einer Minute. Damals war sie für Agfa in Leverkusen tätig. Im gesamten Rheinland waren in den Folgejahren Firmen ansässig, die entweder Kopiergeräte selbst oder Materialien für das Kopierverfahren wie das anfangs benötigte lichtempfindliche Papier hergestellt haben. Das Buch verhandelt zum einen die Erfindung der Fotokopie als solches und die dazugehörige Geschichte von 240 Jahre Entwicklung und Fortschritt, spricht über die parallelen fast zeitgleichen Erfindungen der Blitzkopie (Edith Weyde, DE) und der Xerografie (Chester F. Carlson, USA) und fast die Firmengeschichten einzelner Hersteller, und damit die Industriegeschichte des Rheinlandes, erstmalig zusammen.

Edith Weyde war Chemikerin und Erfinderin des ersten erfolgreichen modernen Fotokopierverfahrens „Copyrapid“ von Agfa. Foto: Portrait of Edith Weyde by Harald Koechlin BY, Wikipedia

Raiko:

Ein Ausblick!
Was ist geplant, wofür brennt ihr im Moment?

Mari:

Einiges! Das M.F.F. Museum für Fotokopie befindet sich derzeit mitten in seiner Neuausrichtung – In der Sichtung und Sicherung der Sammlung, in der Aufbereitung als Archiv, in der Entwicklung von Vermittlungskonzepten und Konzepten für die langfristige Museumsarbeit sowie in der Entwicklung von einer neuen Raumsituationen, die es ermöglicht unsere Sammlungsschwerpunkte (Copy Art, Technik und Dokumentarisches Material) mit einer Workstation für Recherchen, Forschung und Produktion zu verbinden und die es ermöglichen gleichermaßen das Archiv, die Dauerausstellung und wechselnde Ausstellungen zu zeigen, was bei knapp 80 qm 2 schon eine Herausforderung ist.

Diese unterschiedlichen Aspekte benötigen in ihrer Umsetzung natürlich enorm viel Zeit und sind auf einen langfristigen Zeitraum angesetzt. Nach und nach werden auf unterschiedlichste Weise damit in die Öffentlichkeit treten. Zum einen Planen wir gerade eine Reihe von drei öffentlichen Terminen, die sich jeweils einem Sammlungsschwerpunkt widmen voraussichtlich noch für dieses Jahr.

Zum anderen werden wir zeitnah unsere neu konzipierte Website launchen und einen ersten Einblick in unser Online-Archiv geben, das daraufhin in den folgenden Jahren immer wieder aktualisiert und erweitert werden wird. Außerdem machen wir weiter mit unseren Online-Formaten und dem M.F.F. Radio. In dem kommenden Jahr hoffen wir dann unsere Ausstellungs- und Veranstaltungsformate wie “Kind of Copy”, “M.F.F. Edition” oder “Tattoo-Brunch” wieder regulär durchführen zu können und diese um das neue Vermittlungsprogramm mit Workshops und Lectures zu erweitern.

Danke Mari und alles Gute!

*Das Buch „Von der analogen Kopie zum digitalen Workflow: Geschichten eines Umschwungs in Technik und Kunst“ könnt Ihr euch ganz bequem nach hause liefern lassen.
Dazu einfach eine Mal an: museum@makroscope.eu

Das Makroscope findet ihr auch auf allen Social Media Plattformen wie Facebook oder Instagram und seit neuestem auch auf youtube.

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