Diese Frage haben sich auch die Initiator*innen um das Team von Kuratorin und Projektleiterin Susanne Wernsing gestellt. In der Ausstellung: „Rassismus – Die Erfindung von Menschenrassen“ im Deutsche Hygiene-Museum in Dresden nähern sie sich der Frage in vier unterschiedlichen, historisch konzipierten Themenräumen. Zeit für eine Review der Ausstellung aus gegebenen Anlass.
Einst instrumentalisiert, heute im Dienste demokratischer Aufklärung
Wenn in Deutschland Hetzjagden auf Unschuldige selbst von der Politik direkt marginalisierend als „Selbstjustiz“ bezeichnet werden lohnt sich der Blick in die Deutsche Vergangenheit allemal. Denn die Dinge beim richtigen Namen zu nennen wäre schon Mal ein Anfang, rassistische Strukturen aufzudecken. Warum gelingt das oft nicht? Wann, wie und warum begann das Problem und wo kommt man den Antworten auf diese Fragen etwas näher?
Zurzeit geht das für den Anfang ganz gut im Hygiene Museum, das seit mehr als 100 Jahren besteht. Historische Umbrüche, die das vergangene Jahrhundert prägten, haben sich auch in die „DNA“ des Museums fest eingeschrieben und es gewissermaßen zu dem werden lassen, was es heute ist: Ein Zeitzeuge in Form eines Wissensspeichers, der heute nicht nur den menschlichen Körper thematisiert, sondern alle Bereiche menschlichen Zusammenlebens in Sonderausstellungen abbildet.
Das war nicht immer so. Das 1912 vom Dresdner Philanthropen und Unternehmer Karl August Lingner gegründete Museum avancierte in den 1930er Jahren mit seiner modernen Vermittlungsmethodik zu einer strategisch wertvollen Propaganda-Maschine der Nationalsozialisten. Aber es wurde ’45 zerbombt. Wieder aufgebaut nahm es in der DDR-Zeit eine vergleichbare Aufgabe wahr wie die in der Bundesrepublik ansässige Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Erst das Ende der DDR läutete gewissermaßen auch die Neuausrichtung der Institution ein. Die wechselnden Sonderausstellungen sorgen für regen und fortwährenden Austausch. Aktuell durch die Ausstellung über die „Erfindung von Menschenrassen“.
Rassismus, dieses immer wiederkehrende Geschwür der Menschheit
Er polarisiert, „eint“ offiziell vergleichsweise wenige und spaltet uns leider mehr voneinander, als wir es wahrhaben wollen. Denn meistens versteckt sich Rassismus unter einem gefährlichen Geflecht aus einem nicht hinterfragten Habitus, gepaart mit einem beißenden Humor. Oder einer schlichten „Angst“ vor dem vermeintlich Fremden. Doch sehr wohl gibt es eben diese Momente, in denen seine Konturen schmerzhaft klar und deutlich erkennbar sind. Der Rassismus in unseren Köpfen ist ein vielschichtiges Konzept. Er geht einher mit Diskrimierung, Machtgefällen und Unterdrückung.
In a nutshell: Davon handeln die vier Themenräume.
Raum 1: Rassenkonstruktionen und unangenehme Momente der Enge und des Ausgeliefertsein
Der erste Ausstellunsgraum beschäftigt sich mit den Rassenkonstruktionen in den Wissenschaften und gibt Einblick in eine Welt, die in ihren Ausmaßen und Traditionen bis in die heutige Zeit wirken. Leider keine Fiktion, sondern bittere Wahrheit: Die vielen Instrumentarien mit denen versucht wurde, „ernsthafte“ Wissenschaft zu betreiben. In den vielen, kleinen Regalen befinden sich Abformungen von Körperteilen, Vermessungen, Typisierungen, Hierarchisierungen u.s.w.. Alles um einer ganz bestimmten Frage nachzugehen: „Was unterscheidet uns von anderen? Und was macht uns gleich?“ Ein wesentliches Merkmal dieses Raumes ist seine füllende Ausstellungsarchitektur. Zum größten Teil besteht diese aus einer raumgreifenden Regalkonstruktion, die sich auf einer beklemmenden Art und Weise ihren Weg durch den Ausstellungsraum sucht. Was folglich den Willen zur Klassifizierung verstärkt. Dabei entstehen unangenehme Momente der Enge und des Ausgeliefertsein. Hinter dieser unheimlichen Atmosphäre steckt das Berliner Architekten Büro Kéré architecture.
Raum 2: Die Rolle des Museums während der NS-Zeit
Bedrückend wird es auch im zweiten Raum der Ausstellung. In diesem legt das Deutsche Hygiene-Museum die eigene Rolle in der NS-Zeit, für die Besucher*innen offen dar. Beim Betrachten der vielen Lehrtafeln, Plakaten und Fotografien läuft es einem kalt den Rücken herunter. Der Versuch diese zu beschreiben, wirkt jetzt im Nachhinein einfach nur absurd.
Schnell kommt auch die Frage auf: Wie umgehen damit? Wie richtig und einfühlsam repräsentieren? Fragen, mit denen sich unsere Museen und Institutionen zwangsläufig beschäftigen müssen.
Raum 3: (Post-) Kolonialismus und sensibler Umgang mit brutalem content
Eine mögliche Strategie bieten uns die Soziologin und Kommunikationswissenschaftlerin Natasha A. Kelly und ihr Team, das der Kuratorin beratend zu Seite stand. Dessen Vorgehensweise durchzieht sich quer durch die gesamte Ausstellung. Die kleinen, farbigen Textfelder befinden sich in unmittelbarer Nähe zu den jeweiligen Exponaten und deren Wandtafeln. Ihr Zweck besteht darin, die „weiße“ Sicht zu durchbrechen, zu intervenieren, „indem sie veranschaulichen, inwiefern Exponate Gefahr laufen können, rassistische Inhalte zu reproduzieren“, heißt es im Katalog, in dem sich eben dieses Konzept wiederfindet. Ein wichtiger Beitrag, der nahtlos an die aktuellen Diskurse im Umgang mit Rassismuskritik und dem Postkolonialismus anknüpft. Die geopolitischen Ausmaßen des Kolonialismus werden den Besucher*innen im vorletzten Kapitel vor Augen geführt. Begriffe wie Unterwerfung, Gewalt, Zwangsarbeit sind dabei omnipräsent.
Raum 4: Eine Utopie des Zusammenlebens
Zum Schluss sehen wir uns nur noch mit einer Frage konfrontiert: „Wie wollen wir zusammen sein?“. Auch diese Frage ist mehr als tagesaktuell und lässt sich vielleicht im Zentrum des Raumes beantworten. Denn im Gegensatz zu den sperrigen Regalsystemen zum Anfang, wird dieser durch einen offenen Pavillon definiert. Seine Form kommt einem organischen Gebilde gleich und lädt dazu ein, miteinander ins Gespräch zu kommen, zu diskutieren, sich über das eben Gesehene und vielleicht auch Erlebte, auszutauschen.
Unpolitische Informationsabsicht – und doch eine Stellungnahme
Das Ende der Ausstellung ist zugleich ein Beginn und eventuell der beste Versuch, den Hirnfick Rassismus zu bekämpfen. Denn wenngleich nicht die Absicht darin besteht, das Thema Rassismus zu politisieren, sondern viel mehr den Fokus auf eine reine „Informationsquelle“ zu legen, ist die Ausstellung streng genommen doch das Statement einer bedeutsamen Institution.
Ein Statement das einer Utopie gleich kommt: Für ein Zusammenleben in einer nicht allzu bedeutsamen Stadt, in der die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass sie im nächsten Jahr einer noch unbedeutenderen Partei vor die Füße fällt.
Die Ausstellung „Rassismus – Die Erfindung von Menschenrassen“ am Deutschen Hygiene-Museum in Dresden läuft bis zum 6. Januar 2019. Der Begleitkatalog ist im Wallstein Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro.