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„Museum of Untold Stories“ – hier erzählen Mitarbeiter*innen der SKD ihre Geschichten mit der Kunst

In einen Trödelladen gehen, ein Buch kaufen, den Namen des vorherigen Inhabers finden und ihn dann googeln. Klingt nach einer Art Detektivarbeit, aber macht das einer von euch? Wenn man daraufhin die traurige Lebensgeschichte des ehemaligen Besitzers in der Sächsischen Biographie findet, entsteht doch irgendwie eine gewisse Bindung zwischen neuem und alten Besitzer des Buches.

Von Maria Radke

Genau das hat Holger Birkholz, Kurator im Albertinum/Galerie Neue Meister, gemacht und lässt uns an der Lebensgeschichte von Gottfried Benndorf in der Ausstellung „Musuem of Untold Stories“ teilhaben.

Das machen ihm jetzt 75 weitere Mitarbeiter*innen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden nach. In der Ausstellung im Japanischen Palais (in dem wir viel zu selten sind) erzählen sie 81 Geschichten, ihre „Untold Stories“. Die Objekte kommen aus unterschiedlichen Sammlungen und werden ungeachtet der Zeit und des Genres ausgestellt. Zu sehen ist die Ausstellung noch bis Ende August.

Gestartet wird mit dem Bereich des Depots, der sonst für die Museumsbesucher*innen nicht offen ist.

Tagtäglich arbeiten Restaurator*innen, Kurator*innen, Wissenschaftler*innen und zahlreiche andere Angestellte in den Sammlungen und Abteilungen mit den Kunstwerken zusammen. Dabei entsteht oftmals eine ganz spezielle Bindung zwischen dem jeweiligen Objekt und der Person. Diese persönlichen Eindrücke in eine Ausstellung zu transformieren, folgt nicht ganz dem klassischen Ausstellungskonzept. Denn die wissenschaftliche Perspektive wird hier bewusst in den Hintergrund gedrängt. Üblicherweise und im klassischen Sinn wird bei einer Ausstellung eine gut recherchierte Forschungsfrage mit Belegexemplaren präsentiert. Beim „Museum of Untold Stories“ liegt der Fokus allerdings auf den persönlichen und subjektiven Geschichten die diese Werke von sich aus erzählen. Was haben sie erlebt? Wie lang und wieviele Umwege nahm ihrer Reise, bis sie ins Museum kamen? Welche skurrilen Anekdoten bringen sie mit? u.s.w.

Gleichzeitig wird damit aber auch die Frage aufgeworfen, wie das Museum heutzutage agieren muss und wie es sich am besten den Bedürfnissen der Gesellschaft anpassen kann. „Was ist ein Museum und was ist seine Aufgabe? Was kann, soll und will es im 21. Jahrhundert leisten?“, fragt Marion Ackermann, Generaldirektorin der SKD daher zurecht in der Einleitung im zur Ausstellung erschienenen Booklet.

Was bedeutet eigentlich Restitution? In der Ausstellung gibt es immer wieder Erklärungen, die an den Wänden stehen.

Ganze acht Themenbereiche versuchen die Schau zu gliedern. Das sind „das Depot„, „Leerstellen„, „Restitution„, „13./14. Februar 1945„, „Wiedergefunden, Zurückgeführt, Zerstört„, „Kunstkammer„, „Theater und Kino“ und „Inspiration und Überraschung„. In den ersten drei Bereichen kann noch jede einzelne Geschichte gelesen und die dazugehörigen Objekte ausgiebig bestaunt werden. Danach wird allerdings alles etwas zu viel. Die zwei großen Räume können einen förmlich erschlagen.

Dennoch muss man beim Rundgang keine Angst vor Überforderung haben. Und auch fachfremdes Publikum bekommt durch zahlreiche Zitate an den Wänden oder auf dem Boden oder Erklärungen zu Begriffen wie „Restitution“ oder ähnlichen Fachausdrücken helfende Unterstützung. Sogar die „kleinen“ Besucher werden mit einbezogen, denn an manchen Objekten hängt ein kleines Tierchen – für mich sieht es aus wie ein Drache –  der den Kindern Fragen stellt oder sie auffordert eine Aufgabe zu erfüllen.

Baselitz Markenzeichen. Welches Kind das noch nicht weiß, wird aufgeklärt und kann trotzdem noch entscheiden, ob es nicht vielleicht doch falsch herum hängt.

81 Geschichten zu erzählen ist in einem Artikel allerdings unmöglich, daher habe ich mich entschlossen Einblicke in ein paar ausgewählte Erzählungen zu geben, die bei mir persönlich am meisten hängen geblieben sind. Für die anderen muss man sich die Ausstellung schon selbst anschauen.

Auf eine ganz persönliche und auch ergreifende Art werden die Kunstwerke und die damit verbundenen Erinnerungen präsentiert. Die Geschichten wurden von den Mitarbeiter*innen einfach per Hand auf einen Zettel geschrieben und mit einem orangenen Klebeband (passend zum neuen Corporate-Design der SKD) an die Vitrine oder Wand geklebt. Ziemlich simpel und doch hat es einen großen Effekt: Sofort fühlt man sich der jeweiligen Person näher, die dort ihre Story erzählt. Das ist echt und irgendwie einfach schön.

Jetzt aber endlich zu meinen „all time favourites“ der Geschichten:

„Herzlichst euer Ciko“

Die handschriftliche Untold-Story von Katja Lindenau.

Keine vielversprechende Information, wenn man den rechtmäßigen Eigentümer eines Objekts finden will. Katja Lindenau, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, ist aber genau das gelungen. Walter Holzhausen, der den Spitznamen „Ciko“ trug, unterzeichnete genau so eine Postkarte an die Dresdener Künstlerin Hilde Rakebrand. Vielleicht war es Zufall, dass auf einem Blatt von Rakebrand „reserviert Ciko“ neben einer russischen Inventarnummer stand. Die Zeichnung befand sich mit weiteren Objekten in der Sammlung des Kupferstich-Kabinetts Dresden, hatte jedoch eine ungeklärte Herkunft. Wenn dieser Fall eintritt, klingeln die Alarmglocken bei den Provenienzforscher*innen der Museen.

Der Weg, den das Objekt vom Atelier des Künstlers bis zu seinem jetzigen Standort zurückgelegt hat, muss lückenlos erforscht werden. Denn wenn das Werk dem Museum nicht gehört, ist es unrechtmäßig in der Sammlung und hat eigentlich einen anderen Eigentümer.

Aber wie geht das? Also, dass das Objekt nicht bei seinem rechtmäßigen Besitzer ist? Das passierte zum Beispiel durch Entzug oder Verkauf des Werks unter Zwang des nationalsozialistischen Regimes, aber auch durch die Regierung der DDR (sogenannte Fälle des DDR-Unrechts). Kurz nach dem Krieg wurden aber auch die Schlösser, die als Auslagerungsorte der Kunstwerke genutzt wurden, von sowjetischen Trophäenbrigaden geplündert.

Hilde Rakebrand, „Ein Mann und eine Frau mit bunten Jonglierbällen“ und „Sieben Figuren auf Untertasse“

Die darin befindlichen Objekte wurden sortiert und entweder nach Russland verschleppt oder als minderwertig bezeichnet zurückgelassen. Nicht nur die Dresdener Museen lagerten ihre Schätze in den Schlössern aus, sondern auch Dritte, zum Beispiel Privatsammler*innen oder Museumsarbeiter*innen. Das machte auch Holzhausen mit seinen Werken, die auch nach Russland verfrachtet wurden. Nicht alle fanden zurück nach Dresden, aber für die Rückkehrer konnte die Herkunft gesichert werden.

Durch weitere Recherchen wurden drei Zeichnungen von Hilde Rakebrand, ein Holzschnitt von Karl Schmidt-Rottluff und eine Lithographie von Oskar Kokoschka, der Sammlung von Walter Holzhausen zugeschrieben. Die Freundschaft zwischen Holzhausen, seiner Frau Erika und Rakebrand (beide Frauen studierten zusammen an der Kunstgewerbeschule) wird in der Familie Holzhausen heutzutage noch zelebriert. Eine Untertasse, die Rakebrand Erika Holzhausen schenkte, ist im Familienbesitz und wurde für die Ausstellung ausgeliehen. Zwei Werken von Kokoschka und Rakebrand, die die Söhne Holzhausens den SKD überlassen haben, erinnern an ihren Vater und eine Freundschaft, die einen weiteren kniffligen Provenienzfall aufgeklärt hat.

16 Bauhaus-Keramiken für etwa 13 Euro?

Handschriften sind etwas so persönliches. Irgendwie empfinde ich immer eine Verbindung zu der Person, die den Text geschrieben hat.

Das wäre heute ein kleiner Traum. Im Jahr 1925 war das aber ein realistischer Preis. Wolfgang Balzer, der zu dieser Zeit Direktor des Kunstgewerbemuseums war, kaufte das Kaffee- und Teegeschirr direkt vom Bauhaus in Weimar. Von 1924 bis 1926 kaufte er zielgerichtet zeitgenössisches Design für die Sammlung. Durch den Krieg mussten auch die Objekte des Kunstgewerbemuseums ausgelagert werden. Die Keramiken lagerte man in das Schloss Frauenstein ein. Nachdem der Krieg zu Ende war, wurden Bestandslisten der einzelnen Schlösser erstellt. In den Akten vom 23. Juli 1945 steht Folgendes: „Frauenstein [Schloß]: Allg. Abt.: 63 Kisten; Textil: 28 Kisten. Besichtigung am 21.6.45: Das Lager >stark durchwühlt<; Entwendungen aus den Textilkisten; Beschädigungen an einigen Möbeln.“ Die Bauhaus-Objekte werden nicht erwähnt. Seit dem Jahr 1945 gehören sie zu den Werken der SKD, die Kriegsverluste darstellen. Sie werden vermisst.

Die vermissten Objekte zu ersetzen würde heutzutage ungefähr 20.000 € kosten. Das ist dann leider kein Schnäppchen mehr, findet auch die Direktorin des Kunstgewerbemuseums Tulga Beyerle. Von ihr ist die Story.

Fundstücke im Museum

Überall liegen die kleinen Booklets. Also zugreifen! Und eine kleine Spende da lassen.

Michael Ensel, Besuchermanager im Albertinum, findet einiges in seinem Arbeitsalltag. Von Brillen, Smartphones oder Schals lassen die Besucher*innen so ziemlich alles im Museum liegen. Vieles scheint vergessen worden zu sein, anderes wirkt aber, als wäre es bewusst zurückgelassen. Diese kuriosen Stücke fing er an zu sammeln und verbindet mit allen eine besondere Geschichte. Dazu gehören Postkarten von Schülern, die persönliche Grüße an eine Person schicken sollten und diese lieber zwischen Faltblättern versteckten. Ein drei Jahre alter Kassenbon von einem Getränk, das auf einer Kreuzfahrt erworben wurde. Eine CD, die von einem/einer Missionar*in ausgelegt wurde und vom Paradies und der Verdammnis berichtet. Und noch viele weitere. Die Sammelleidenschaft von Michael Ensel ist damit aber nicht befriedigt. Er hält weiter Ausschau nach neuen, wunderbaren Schätzen.

Ein Booklet „Museum of Untold Stories – Band 1“ mit den 81 Geschichten ist ebenfalls erschienen. Es ist kostenfrei im Japanischen Palais erhältlich, aber über eine Spende freut sich das Team natürlich. Ich bin auf jeden Fall gespannt auf den zweiten Band. Denn bei vielen der Geschichten, die ich durch das Booklet nochmal rekapitulieren konnte, musste ich mir eine kleine Träne wegdrücken. Krass, wie persönlich und vielfältig die Museumsarbeit sein kann und wie eben nicht nur die Mitarbeiter*innen, sondern auch andere Menschen von ihr profitieren können.

Manche Geschichten lassen sich besser lesen, manche weniger gut. Zum Glück gibt’s das Booklet mit allen Stories (in gedruckter Schrift).

Hier nochmal alles im Überblick:

WO? Japanisches Palais
WIE LANGE? 26.5. – 26.8.2018
WANN? Täglich 12-20 Uhr, Sonntag: 10-18 Uhr, Montag: geschlossen
KOSTEN? Der Eintritt ist kostenlos

Übrigens: Zeitgleich zur Ausstellung findet auch dieses Jahr wieder der Palais Sommer im Park des Japanischen Palais statt. Dort erwarten Dich verschiedene Veranstaltungen, wie Yoga, Klavier- und Jazznächte oder Poetryslams.

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