Von Raiko Sánchez
Mitte Juli, ich befinde mich zum ersten Mal auf der Museumsmeile in Bonn. Mein Ziel: eines der besucherstärksten Museen Deutschlands, die Bundeskunsthalle. Die Vorfreude ist groß, wenn nicht sogar gewaltig, denn ich bin auf dem Weg zu einer ganz besonderen Ausstellung: einer Spielplatzausstellung!
Nachdem The Playground Project bereits in Pittsburgh und Zürich gezeigt wurde, wandert die von der Schweizer Stadtplanerin Gabriela Burkhalter kuratierte Ausstellung nun auch endlich nach Deutschland. Und ein weiteres Mal fragen sich die Initator*innen, warum gerade eine Kunsthalle eine Ausstellung über Spielplätze organisieren sollte. Die Antwort auf diese Frage wartet im und außerhalb des Museums auf mich.
Wer schon mal in der Bundeskunsthalle war, weiß, dass es ausreichend Platz für Ideen gibt. Allein der Vorplatz misst gefühlt die Größe eines Fußballfeldes, vom Dach der Bundeskunsthalle ganz zu schweigen. So begegne ich The Playground Project in zweierlei Hinsicht. Zum einen im Indoor- und zum anderen im Outdoor-Bereich. Während sich die Indoor-Ausstellung mit den verschiedenen soziologischen und kulturellen Grundlagen des Spielplatzes befasst, finde ich auf dem Museumsvorplatz und dem Dach eigens zum Thema „Spiel“ konzipierte, zeitgenössische Installationen, die überwiegend allesamt zur Interaktion einladen.
Die Eingangshalle
Groß ist sie, groß und hoch, sehr hoch, genug Platz für ein großformatiges Abbild von Marina Abramovic, welches über den Besucher*innen thront. Doch Marina muss warten, ich will Spaß!
Mein Blick schweift kurz auf einen LCD-Bildschirm. So ein Typ im Anzug lehnt locker an einer der schönsten Spielplastiken für Kinder, dem Lozziwurm. Dieser Typ ist kein geringerer als der Intendant der Bundeskunsthalle, Reiner Wolfs. Reiner redet, nein, erklärt. Das Zuhören fällt mir leider etwas schwer, die 4k Qualität des gezeigten Videos macht mich einfach nur kirre. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sich mir gegenüber jemand versucht zu rechtfertigen. Anyway! Auch Reiner muss warten.
Im Indoor-Bereich
Bereits zu Beginn bekomme ich einen 180-Grad-Blick auf mehr als 100 Jahre Spielplatzgeschichte. Denn schon von weitem wird klar, wie die Ausstellung strukturiert ist und wie ich sie als Besucher zu lesen habe. Fürs Erste entscheide ich mich für die Hauptattraktion, den Lozziwurm. Dieser steht prominent in der Mitte des Raumes. Die Anziehungskraft der von Yvan Pestalozzi entworfenen Spielplastik ist überwältigend und hat auch über alle Jahrzehnte nicht abgenommen. Ein Dutzend Kinder schlängelt sich seinen Weg durch die verwobenen Gänge des begehbaren Wurmes. Die Geräuschkulisse ist ungewohnt. Wann hat man das letzte Mal in einer Ausstellung so viel Gelächter gehört? Aber klar, die Spielplastik bietet einfach das perfekte Surrounding, um sich zu verstecken, gegenseitig zu erschrecken und zu jagen.
Leider gilt das nur für die Kleinen. Für die Erwachsenen befindet sich der Spaß im Intellektuellen. Denn es gibt viel zu lesen und zu gucken, wie das bei einer richtigen Ausstellung eben so ist. Ich tue nun so, als wüsste ich von nichts und beginne zu lesen. Ich begegne dem Österreichischen Bildhauer Josef Schagerl und seinen überaus tollen Gipsmodellen, die glücklicherweise auch als Originale zu sehen sind. Dem großartigen schwedischen Architekten Egon Møller Nielsen und seinen Tufsen, dem amerikanischen Boxer Joseph Brown und seinem Swing Ring u.v.a.
Wo bleibt das Abenteuer?
Nächste Station Abenteuerspielplatz. Das heißt eigentlich: Holzbalken, Steine, Lagerfeuer, alte Autoreifen vermengt mit einer Brise Anarchie. Doch leider bleibt das große Abenteuer heute aus. Dabei bestand doch das Wesen der sogenannten Gerümpelspielplätze darin, dass, wie es der Name bereits verrät, alles was in greifbarer Nähe ist, potentiell als Material zum Spielen und Bauen verwertet werden kann. Ob ich hier mit den Kopfhörern, den Sitzkissen und den Fernsehern einfach so spielen darf, bezweifle ich. Allgemein wirkt das Display sehr unterkühlt und nüchtern. Für meinen Geschmack zu sachlich.
Letzter Halt? Aktivismus!
Wieder weiß ich nicht, wieviel Aktivismus wirklich von mir verlangt wird. Passiv starre ich auf Fernseher und schaue mit neidvollem Blick lachenden Kindern beim Rutschen zu. Wahnsinn.
Richtige Entdeckungslaune kommt keine in mir auf. Zwar verstehe ich nun, wie essentiell das Spielen für die Menschwerdung ist und dass Spielplätze mehr sind als nur ein Schutzraum (wie gesagt, ich tue so als wüsste ich von nichts). Und ja, das hier ist nach wie vor eine Ausstellung in einer Kunsthalle, deren Ziel es ist, einen kulturell-soziologischen Einblick in die Spielplatzgeschichte zu geben, sodass das Elternpaar X und Y neben und hinter mir für ein enorm bedeutsames Thema sensibilisiert werden, aber wie geht es weiter? Wo bleibt der Ausblick? Wie sehen Spielplätze im Jahre 2134 aus? Spielen auf dem Mars? Die Rutsche To Go? Leute, spinnt doch mal rum!
Außerdem möchte ich mich keineswegs damit zufrieden geben, dass Spaß ab einer Körpergröße über 1,10 m endet. Ich setze nun all meine Hoffnung auf den Outdoor-Bereich, der von der Kunstkritikerin Susanne Kleine kuratiert wurde.
Es geht hoch hinaus – mit dem Fahrstuhl
Die Tür zum Dach öffnet sich. Besäße die Wärme Gliedmaßen wäre sie eine Faust. Mit voller Wucht steigt die Hitze in mir auf. Sommer kann so hart sein. Orientierungslosigkeit macht sich breit. Das ist wohl dem Fest geschuldet, welches parallel zur Outdoor-Ausstellung stattfindet. Rechts von mir Bierbänke und eine Band. Links: Eisdiele und Menschen, die im zart gesäten Schatten Schutz vor der brennenden Sonne suchen. Dazwischen Kinder mit einer Aufmerksamkeitsspanne nicht größer als die einer Fliege. Insgesamt ein großes Gehetze.
Ich versuche, das Fest zu ignorieren und begebe mich auf die Suche nach der Kunst zum Anfassen. Treffer! Direkt hinter der Bühne ein System aus Schaukeln, eine Arbeit des dänischen Kollektivs Superflex. Das Besondere an den Schaukeln ist, dass man zu dritt schaukeln kann. Fürs Erste gefällt mir der Gedanke, dass man sich nicht wie gewohnt alleine nach vorn und zurück bewegt. Doch ein kurzer Blick und schnell wird klar, alles voll. Kein Problem, ich habe Zeit!
Es geht weiter. Irgendwas weiter hinten reflektiert wie wild. Zwei Tischtennisplatten aus hochwertigem Material, die von dem argentinischen Künstler Rirkrit Tiravanija installiert wurden, offenbaren sich mir. „Tomorrow is the Question“ heißt eine dieser Tischtennisplatten, und laut der Beschreibung müsste man diesen Schriftzug auch auf der Platte lesen können. Bei dem Wetter eher unwahrscheinlich. Jeder Versuch mündet nur in einem zusammengezogenen Gesicht. Dann lieber einfach nur spielen. Gesagt, getan. Doch wie war das gleich mit der Aufmerksamkeitsspanne … ?
Überfremdung in Sachsen?
In meiner Jugend gab es nur einen Sport, den ich jemals freiwillig praktiziert habe, Basketball. Für ganze drei Wochen reichte damals meine Begeisterung. Das Künstler*innenduo Llobet & Pons scheint das wohl gewusst zu haben. Denn nun kommt es endlich zu meinem persönlichen Revival dieser Sportart.
„NRW vs. Spain – Refugee arrival centres“ von 2018 ist eine der tagesaktuellsten Arbeiten, die es bei The Playground Project zu sehen gibt. Sie besteht aus zwei Basketball-Boards, inklusive einer markierten Spielfläche. Das Besondere an beiden Boards jedoch ist, dass beide unterschiedliche Formen besitzen. Eines davon den Umriss von Nordrhein-Westfalen, das andere den von Spanien. Hintergrund dieser Arbeit ist das Verfahren, das Deutschland anwendet, um alle hier ankommenden Flüchtlinge in den jeweiligen Ankunftszentren zu verteilen. In NRW sind das stolze 21 Prozent, verteilt auf 5 Städte. Demnach besitzt das Board auch fünf Körbe. Während Spanien lediglich einen besitzt, der beim näheren Betrachten auch kleiner zu sein scheint, als die anderen. Tja, in Spanien kommen auch keine Geflüchteten an, es gibt also auch keine Chance (mit-)zuspielen. Ob das die Kinder (und auch Erwachsenen), die verzweifelt versuchen den Ball durch Madrid zu schießen, auch verstehen? Gute Arbeit, „einfach“, aber notwendig!
Insgesamt fällt hier draußen auf, dass es im Vergleich zum Indoor-Bereich mehr um die Spielflächen für Künstler und Künstlerinnen geht, die sich mit den Gedanken des Spiels, des Spielens und den Spielregeln auseinandersetzen. Der Spielplatz als Werkzeug, als eine Art Hilfsmittel. Aus Sicht eines Künstlers und praktizierenden Spielplatzliebhabers, wie ich es bin, leuchtet mir diese Art der Übersetzung und Nutzung ein. Denn auch ich verstehe diese Plätze nicht ausschließlich als reinen Aktions- und Möglichkeitsraum für Kinder. Doch mir fehlt trotzdem etwas: Die Grenze zwischen Indoor- und Outdoor-Bereich ist mir zu klar gezogen. Das da unten ist also die Nostalgie und das hier oben die Kunst? Oder wie soll ich die ca. 20 m Luft, die beide Ausstellungen voneinander trennt, verstehen?
Etwas geplättet breche ich auf Richtung Ausgang. Dieser ist 35 m lang, besteht aus Edelstahl und transparentem Polykarbonat, das sich spiralförmig seinen Weg nach unten sucht. In der „Bonner Rutsche“, die Carsten Höller eigens für die Ausstellung in der Bundeskunsthalle konzipiert hat, findet mein Besuch von The Playground Project also sein finales Ende.
Vor mir: Kinder. Einige von ihnen wirken auf mich, als hätten sie den ganzen langen Tag nichts anderes getan als zu rutschen. Like!
Doch bevor es losgeht, muss ich mir – wie alle anderen auch – einen Baumwollsack aus einer hölzernen Kiste holen. Ich schau mir an, wie die Profis das machen. Easy, denke ich mir. Einfach unter den Po klemmen, hinsetzen, festhalten, warten bis die Ampel auf Grün schaltet und ab geht es. Ich setze mich also hin und versuche, meine Füße samt den Schuhen in den beigefarbenen Sack zu klemmen. Gar nicht so leicht, wenn man doppelt so groß ist wie der Rest der Leute hier. Grün! Mit einer leichten Bewegung nach vorn merke ich auch schon, wie sich mein Tempo auf das dreifache erhöht. Seit langem verspüre ich mal wieder ein leichtes Kribbeln. Ich bilde mir ein, ein kurzes „Yeah“ von mir zu geben. Ich glaube, ich habe Spaß.
Carsten Höller möchte mit seinen Rutschen, die mittlerweile weltweit in den verschiedensten Museen nutzbar sind, den Menschen in eine individuelle „aktive Ungewissheit“ bringen. Für mich ist heute ungewiss, was ich von The Playground Project halten soll. In jedem Fall war es wichtig für mich, heute hier zu sein. Und ich glaube auch, dass alle Besucher*innen, egal ob klein oder groß, für ein Thema sensibilisiert wurden, das leider nicht mehr die Rolle in der Gesellschaft spielt, die sie spielen sollte. Somit ist die Frage, warum eine Kunsthalle sich der Thematik Spielplatz widmen sollte, vollkommen überflüssig.
Gabriela Burkhalter präsentiert in The Playground Project eine klare und zusammenhängende Geschichte des Spielplatzes als eine interdisziplinäre Verschränkung von Architektur, Kunst und Stadtplanung. Und die Erkenntnis, dass das Spiel und damit die wohl freieste Form des Daseins, an die wir uns alle erinnern können, heute in hohem Maße durchorganisiert, strukturiert und reguliert ist.