Ein Gastkommentar von Sophie Lindner & Martin Wiesinger
Mitte März begann zur Prävention der Ausbreitung des Corona-Virus die „Schließung“ aller Orte des sogenannten öffentlichen Lebens, ausgenommen versorgungsrelevanter Einrichtungen.
Seitdem sprechen die medialen Kanäle Kulturschaffender von ihrer zuvor schon vorhandenen und jetzt verschärften existenziellen Not, Ausfällen und Belastungen. Die „Absperrung“ von Orten zur Repräsentation der Kultur im echten, analogen Leben setzte Kräfte frei.
Kulturschaffende melden sich über die Genregrenzen hinweg zusammen zu Wort um deren prekäre Arbeits- und Lebenssituation zu vermitteln und vor allem (und das ist in der Art neu): Forderungen an die Politik zu stellen. Eine Petition nach der Anderen zeigt Visionen auf: ein unbürokratisches, bedingungsloses Grundeinkommen; Kurzarbeiter*innengeld auch für freischaffende Künstler*innen, Sozialleistungen mit erleichterten Zugangsvoraussetzungen und dem Entfallen einer Vermögensprüfung, eine Grundrente auch für schwankende, niedrigschwellige Jahreseinkommen.
“ …manche Stimmen werden zu Chören werden und sich zu Forderungen nach Veränderung formulieren. „
Geradezu momentan taucht der Aspekt von „Sichtbarkeit“ in Zeiten eingeschränkter Sichtbarkeiten des öffentlichen Lebens auf. Sogenannte „alternative digitale Formate“(1) rücken in den Fokus des Schaffens, Akteur*innen der Kunst und Kultur werden für ihr Engagement im Netz (virtuelle Ausstellungen, YouTube-Tagebuchformate, Wohnzimmerkonzerte zum Streamen usw.) gelobt und geradezu aufgefordert, nicht aufzuhören „sich zu zeigen“(2).
Wir sind Bildende Künstler*innen, freischaffend und haupterwerblich. Außerdem haben wir eine Tochter, sie ist 5 Jahre alt. In den letzten 4 Wochen konnten wir sie genau 2 Stunden betreuen lassen, der Kindergarten bleibt auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Umstellung für unsere kleine Familie ist vorangeschritten, neuartige Alltagsformate haben sich etabliert. Ausfälle in finanzieller Hinsicht werden bald durch Soforthilfen aufgefangen, trotzdem müsste für uns der Betrieb wie am Fließband weiterlaufen.
Diese Pandemie ist ein Indikator für die Schieflagen in unserer Gesellschaft. Die Stimmen überwerfen sich, Strukturen ohne solidarische Basis treten in ihrer Unhaltbarkeit deutlich zu Tage – manche Stimmen werden zu Chören werden und sich zu Forderungen nach Veränderung formulieren. Sie müssen in die „Nach-Corona-Zeit“ hinübergeführt werden.
Auch in unserer kleinen Zelle zeigt sich, wie hoch der Druck in unserem Berufsfeld schon vor der Krise war. Dass wir das „Schicksal“ des Künstler*innenberufes teilen, ist an manchen Stellen sehr hilfreich. Doch insgesamt steht die Einsicht: am Limit unserer Kräfte zu agieren sollte kein Alltagsformat sein und bleiben.
“ Ist Ruhe nicht auch eine Ressource und die Stille eine Strategie des Schaffens? „
Der Zwang, unentgeltlich zu produzieren und zu vermarkten ist omnipräsent. Unsichtbar wird er immer noch durch „Freiwilligkeit“. Entweder man spielt mit oder man lässt es? Viele Strategien des künstlerischen Schaffens passen sich einem System der (Aufmerksamkeits-)Ökonomie an. Die Kunst suggeriert gern den Schritt voraus, ist aber in ihren Strategien des Wirtschaftens genauso „von Gestern“ wie in anderen Branchen auch. Corona „entlarvt“ die Kunst.
Eine reichhaltigere Debatte über Ressourcen des Schaffens verstummt nach den ersten Wochen der Pandemie. Schade, denn was ist mit „der Zeit“ zum Arbeiten und welche Strukturen braucht man dafür? Ist Ruhe nicht auch eine Ressource und die Stille eine Strategie des Schaffens?
Es wird ausgerufen, dass wir gebraucht werden. Da draußen, wir, die Künstler*innen, Musiker*innen, Schriftsteller*innen usw. Es folgen Fragen wie: Was bedeutet dieses „Brauchen“? Sind wir Systemrelevant? In welchem „System“ möchten wir relevant sein? Und: Wen meinen wir mit „Wir“?
“ Solidarität beinhaltet das Unsichtbare… „
Das eindeutigste künstlerische Potenzial – welches wir als eine Frage der übergreifenden Lebenshaltung ansehen – ist nicht erst jetzt, das Spiel der Ökonomie nicht mitzuspielen. Wenn jedoch die Sichtbarkeit zunehmend als alleiniges Merkmal von (künstlerischer, beruflicher, karrieremäßiger) Existenz fungiert, kann der jetzige Kampf nur verloren werden.
Das Prinzip ändert sich nicht, das Konkurrenzdenken ändert sich nicht. Es stellt sich die Frage, ob die Zwänge aus den Arbeitsverhältnissen der Vergangenheit einfach nur vom „analogen“ ins „digitale“ wandern. Solidarität beinhaltet das Unsichtbare. Solidarität meint die Unsichtbaren mit.
“ …nun sollen wir erst recht zeigen, wie viel «kreative Arbeit» wir auf Vorschub leisten? „
#stayathomeandbecreative (3) – ein seltsamer Satz, der diesen Zeiten geschuldet ist. Die mitklingende Befehlsform wollen wir nicht ignorieren. Kurz gesagt, wir haben schon vorher kaum Verschnaufspausen gehabt, nun sollen wir erst recht zeigen, wie viel kreative Arbeit wir auf Vorschub leisten, nur um zu zeigen, dass wir „systemrelevant“ sind?
Solange man mit dieser Systemrelevanz denkt, wird es einen Teil geben, der nicht zu diesem System gehört. Unser Zusammenleben ist kein System und die Ökonomie als Idee vom effizienten und profitorientierten Haushalten kann nicht die Maxime des Miteinanders sein. Und mit ihr kann auch nicht die Bedingung der Sichtbarkeit notwendige Voraussetzung für künstlerische Existenz sein.
(2) https://www.dresden2025.de/de/mitmachen/open-call/2020/open-call- stayathomeandbecreative.php
(3) https://www.dresden2025.de/de/mitmachen/open-call/2020/open-call- stayathomeandbecreative.php