Menschen benötigen Freiräume. Freiräume, in denen sie ihre Ideen und Projekte entwickeln können. Und leerstehende Räume finden sich überall.
Mal abgesehen vom nervigen Aspekt des Geldes ist es dann aber oft auch noch kompliziert Konzepte, wie das eines Pop-up Stores oder eines Offspaces, den Eigentümern schmackhaft zu machen.
Und dann heißt es meistens: Eigeninitiave! Dabei bedarf die Erschließung eines solchen Terrains viel Mut und Ausdauer. Es wird einem/r viel abverlangt. Klinken putzen, anstrengende Telefonate führen, unzählige E-Mails schreiben usw. Jede Person, die schon mal in den Genuss einer Beantragung für öffentliche Mittel gekommen ist weiß, mit was für alten Mühlen dort gemahlen wird.
Dass es glücklicherweise mit etwas Geschick funktionieren kann, haben Anna Erdmann und Franziska Goralski bewiesen. Mit viel Unterstützung ist es beiden Künstlerinnen gelungen, das ehemalige Nähcafé Malu auf der Königsbrücker Straße 50 in der Dresdener Neustadt für zwei Monate mit neuem Leben zu füllen.
Das lilac P.O.P. [laihleck pop] (das P.O.P. steht für Power of Place) war Bibliothek, Ausstellungsraum, Denk -und Wissensfabrik. Ein Ort des Austauschs, des Erfahrens und Erlebens. Dabei war es allen Gästen selbst überlassen, inwieweit sie in den Kosmos der Akteur*innen eintauchen mochten.
Doch um diesen Apparat an Ideen für jede(n) erfahrbar zu machen, bedarf es vor allem eines: Die Lust am Probieren! Den Willen ein Forum aufzubauen in dem, so wie Franziska es umschreibt, „etwas stattfinden kann, was noch nicht vohersehbar ist“. Das ist auch stark im Zusammenhang mit dem Begriff des Empowerments zu verstehen. Im Allgemeinen bezeichnet Empowerment eine Strategie, mit der man versucht, den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben des Individuums oder der Gemeinschaft zu erhöhen. Auch das lilac P.O.P. bezog sich auf dieses Konzept. Ziel war es, das subjektive Gefühl der Macht und Einflusslosigkeit hinter sich zu lassen, um Gestaltungsräume und innere Ressourcen stärker wahrnehmen und für sich selbst nutzen zu können.
Auf die Frage, was denn da jetzt genau passiert ist, gibt es für Anna keine einsilbige Antwort. Beide wollten mit der Idee zum lilac P.O.P. an die Vorstellung eines „Probierzimmers“ anknüfpen.
Die Notwendigkeit eines solchen veranschaulicht der Drehbuchautor und Schriftsteller Jurek Beckers in seiner Kurzgeschichte „Das eine Zimmer“, aus dem Band „Nach der ersten Zukunft“, besonders gut. In seiner Geschichte bemüht sich ein junges Paar um einen gemeinsamen Wohnraum. Ihr einziges Problem: Sie bestehen neben einer Küche, einem Wohn- und Schlafzimmer und einem Bad eben auf einen Raum des Probierens. Das Amt, in seiner Bürokratie hoffnungslos mit diesem Antrag überfordert, bewilligt dem jungen Paar nun von Mal zu Mal einen Raum weniger, bis das Anliegen der Beiden schließlich vollkommen scheitert.
„Dieser Gedanke von etwas auszugehen, wo andere Regeln gelten, wo es keine Kategorien gibt, das war das Ausschlaggebendste für uns“, fügt Franziska hinzu.
Mir persönlich kam das lilac P.O.P. einer Skizze gleich. Einer Raumstudie, deren Gestalt sich immer wieder neu verändert hat. Das lag zum einen an den Protagonist*innen selbst, zum anderen aber auch daran, inwieweit es mir als Besucher gelang, das Maß an Feinfühligkeit aufbringen zu können, die dieser Raum von mir insgeheim forderte. Etwas, das auch der Initiatorin Anna aufgefallen ist: „Es war stets eine sensible Atmosphäre, die sofort gekippt ist, wenn unsensible Menschen den Raum betreten haben. Es war notwendig, das Personen bewusst und verantwortungsvoll mit den Angeboten umgegangen sind.“
Dabei war die Grenze zwischen der Intimität und dem Öffentlichen nicht von vornherein klar gezogen. Sowohl für Anna und Franziska, als auch für alle dazugehörigen Akteur*innen, war es ein stetiges Jonglieren zwischen eben diesen Polen. „Es gab auch Momente, in denen es sich komisch angefühlt hat, wenn nicht private Personen gekommen sind. Die Beobachtung war letzlich, dass es diejenigen gab, die sich nicht mit den Arbeiten auseinandersetzen wollten“, ergänzt Anna.
Mit Arbeiten meint Anna Erdmann hier intimere Fotografien, die sie mit Franziska Goralski hergestellt hat. In dieser haben sich die beiden Künstlerinnen mit Unterwäsche aus ihrer „strap wear collection“ gekleidet und in verschiedenen Posen fotografiert.
Die Pallette an Positionen, ob künstlerisch, musikalisch oder politisch, war immens. Das Rahmenpgrogramm beinhaltete unzählige Workshops, Lesungen und Vorträge. So verwundert es nicht, dass das lilac P.O.P. mittlerweile zu einem immer mehr wachsenenden, queer-feministischen Netzwerk gehört:
Da wäre zum einen das Konzertkollektiv BÖSE&GEMEIN oder das Festival DIGITALFEMINISM, an welchem auch „die Blaue Distanz“ im kommenden Jahr wieder teilnehmen werden. Aber auch Vortragsreihen wie GENDER*BITES, die zu Beginn dieses Jahres an der Hochschule für Bildende Künste stattfand.
Es sind Netzwerke, die eines vereint: Sie bieten Schutzräume. So sagt Anna: „Das Beglückendste für mich ist, wenn jede Person mit ihrem ganz perönlichen Paket Platz finden kann. Ganz gleich, welche Stärken oder Schwächen diejenige Person hat. Dass es nämlich darum geht, sich nicht auf einer professsionellen Ebene, sondern als Individuum zu begegnen.“
Nach dem intensiven Gespräch mit den Beiden lag mir eine Frage noch auf der Zunge. Vielleicht lag das nur an meiner plakativen Vorstellung davon, wie sich fletschende Zähne mit einem gemeinen Zwicken in meiner Haut festbeißen. Oder war es doch eine gerechtfertigte Frage danach, wie ich als Betrachter*in die Symbolsprache deuten kann:
Warum greifen queer-feministische Bewegungen so oft auf ein eher aggressives Bildrepertoir zurück?
Anna überlegt, „Aus persönlicher Sicht würde ich sagen, dass es mich nicht anspricht, es in mir keine Gefühle weckt. Aber ich verstehe, dass Frauen wütend sind. Wütend auf die Verhältnisse und Erfahrungen, die viele von ihnen gemacht haben und nach wie vor machen müssen“. Franziska fügt an: „Das gesellschaftliche Bild einer Frau passt nicht zum Verständnis von Aggressivität. Wenn eine Frau wütend ist, ist sie schnell eine Furie, hypersensibel u.s.w. . Aber das stimmt einfach nicht! Es ist für jede(n) von uns einfach notwendig, alle Teile von sich kennenzulernen. Eben auch das Aggressive. Es nicht abzuspalten, sondern dem auch Raum zu geben“.
Eins steht fest: Zukünftig wollen Anna und Franziska gerne mehr Platz schaffen. Für wen oder was und wie dieser dann am Ende aussehen wird, steht noch in den Sternen. Denn schließlich ist nach der Definition von Franziska, „… Power of Place ein ähnlich geflügeltes Wort wie das Probierzimmer“.
Ganz konkret ist jedenfalls, dass Franziska und Anna bald in Salzburg (Österreich) zu sehen sein werden. Dort werden sie mit ihrer Sammlung die bestehende Bibliothek der Galerie 5020 um weitere Fachlektüre bereichern. Natürlich aus überaus interessanter weiblicher Sicht.