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„Man muss die Grenzen erst einmal aufzeigen, um sie durchbrechen zu können.“

Mit der Anfang Oktober 2018 eröffneten Ausstellung „Abnormale Kunst“ tritt Nori Blume nicht nur als Künstlerin auf, sondern agiert gleichzeitig auch als Kuratorin von 20 teilnehmenden Leipziger und Dresdner Künstler*innen. Ein Gespräch über ihre Kunst, die Auseinandersetzung mit Queer Art, dem Anderssein und dem damit einhergehenden Gefühl des Verlorenseins.

Von Fay Lazariotis

VASiSTAS:
Du beschäftigst dich mit vielen unterschiedlichen Medien, von Tattoo-Art bis Performance ist alles dabei. Zieht sich dabei eine gewisse Struktur durch dein Werk?

Nori:
Es gibt in meinen Arbeiten zwei Bereiche. Zum einen ist da die Momentaufnahme. Das ist eben alles, was bereits fertig ist, im Raum steht und alleine funktioniert. Daneben gibt es noch bewegliche Abläufe – etwas, was sich immer noch verändert. Dazu gehören die Plong-Objekte, wie ich sie nenne. Das ist ein Comic Wort für etwas, das herunterfällt. In meiner Arbeit gibt es immer so einen Moment, an dem ich merke: da wird ein Plong-Objekt draus. Die brauchen immer einen Akteur, einen Betrachter oder eben die Bewegung. Und so entsteht eine Art Modulsystem über die Jahre hinweg. Zum Beispiel kann man die Plong-Objekte immer wieder in diversen Ausstellungskontexten einsetzen und verschiedene Räume damit verändern. Ich verstehe den Raum dann als eine Art Behälter, den ich mit meinen Objekten fülle. In der Gestaltung denke ich zeichnerisch, entwickle dabei ein 3-D Bild der Räume.

Nori und ihr selbst kreiertes Spiel „moving art“

VASiSTAS:
Wie bist du auf Performance-Kunst gekommen? Hat dich vielleicht auch dein Studium der Bildhauerei zur Performance inspiriert?

Nori:
Ich habe überlegt, was für Möglichkeiten ich habe, um eben diesen Moment der Entscheidung zwischen Momentaufnahme und Plong-Objekt zu zeigen. Performance ist da eine gute Möglichkeit.

„Die Verbindung von Bewegung und Kunst finde ich sehr spannend – das Spielerische, nicht so verkopft an Dinge heranzugehen, sondern eher körperlich.“

„Moving art“ war beispielsweise ein Projekt bei dem ich ein Spiel entwickelt hatte, das die Leute benutzen konnten. Auf einer Kugel war eine Wegbeschreibung, eine Art Zeichnung angebracht und diese Kugel mussten die Leute auf Stäben balancieren und den auf der Kugel aufgetragenen Weg nachlaufen, ein bisschen wie beim Eierlauf.

Das Einzige, was fest angegeben war, waren die Kreuze auf dem Boden. Ich hab es aus der Hand gegeben, wie meine Arbeit dann letzten Endes ausgeführt wurde. Ich glaube im Übrigen schon, dass ich über das dreidimensionales Gestalten der Bildhauerei zur Performance gekommen bin, aber es ist eben nur eine von vielen Möglichkeiten mich auszudrücken.

Nori Blume, Raumheld, C-Print

VASiSTAS:
Deine Formensprache ist nicht nur individuell einsetzbar, sondern gleichzeitig charakteristisch und wiedererkennbar. Bei der Bar, die du für die Distillery gestaltet hast, erkennt man zum Beispiel sofort: Das ist Nori Blume.

Nori:
Es entsteht alles aus mir heraus. Vieles funktioniert dadurch auch zusammen und beißt sich nicht. Ich kann mich auch nicht auf ein Medium festlegen. Ich wähle je nach Thema das Medium. Miranda July ist da ja auch interessant, weil sie mit diversen Medien arbeitet und sich in alle Richtungen ausbreitet. Ich muss mich frei ausdrücken können. Wir haben heutzutage so viele Möglichkeiten, verschiedene Dinge umzusetzen. Egal ob in einem Galerieraum oder in der Clubgestaltung. Hauptsache meine Arbeit berührt die Menschen.

„Ich finde künstlerische Arbeiten dann interessant, wenn sie mit Gewohnheiten brechen und etwas anderes darstellen, als das Gewöhnliche.“

VASiSTAS:
Was hat dich dazu veranlasst, die Ausstellung „Abnormale Kunst“ zu machen?

Nori:
Ich finde künstlerische Arbeiten dann interessant, wenn sie mit Gewohnheiten brechen und etwas anderes darstellen, als das Gewöhnliche. So bin ich auch auf die Ausstellung gekommen, die jetzt stattfinden wird. Da habe ich eben versucht, Leute zusammen zu bekommen, die das für mich darstellen. Das ist für mich spannende Kunst. Auch diese Darstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit, Fragen über die Sexualität, Beziehungen zur Körperlichkeit, die Rolle der Männlichkeit in der Schwulenszene, das Schönheitsideal und so weiter.

Silas (Schmidt von Wymeringhausen) ist ein Buchkünstler, der eine Arbeit zum Thema Cruising macht. Cruising ist, wenn Männer sich zum Sex im öffentlichen Raum treffen. Er hat ein Heft dazu kreiert. Cruising ist eine offline-Form der Begegnung, das gibt es schon sehr lange und ist zum Teil sehr anonym. Dabei ist es interessant, wie so etwas funktioniert ohne meist direkte Kommunikation. Es gibt dabei spezielle Zeichen und Standorte. Silas hat ein Heft dazu gemacht, das sehr poetisch und sehr sexy ist.

Nori Blume, Armer Junge, C-Print mit Stahlrohren

VASiSTAS:
Ich war schockiert, als die Direktorin des Kulturhistorischen Museums Merseburg seine Kunst als „abartig“ bezeichnet hat. Wie kann so jemand eine leitende Position in einer kulturellen Institution innehaben?

Nori:
Sie hat sich auch bis jetzt nicht dazu geäußert. Die Arbeit wurde nur zensiert gezeigt und Silas hat in der Zeit kaum Unterstützung erfahren. Er hatte sich dann natürlich sehr getroffen gefühlt. Ich freue mich sehr, dass seine Arbeiten jetzt nochmal ganz gezeigt werden können und man das thematisiert. Gerade da ist mir aufgefallen wie wichtig es ist, dass man eine Ausstellung mit dem Titel „Abnormale Kunst“ macht.

„Auch wenn man selbst sagt, dass man keine Grenze zwischen normal und abnormal zieht, dass es da keine Grenze gibt – existiert sie ja eben doch noch.“

Und abnormal ist für mich jetzt keine negative Bezeichnung, sondern eher ein Kompliment. Ich verstehe die Wortbedeutung als besonders, anders, eben all das, was für mich eine Arbeit spannend macht.

Silas Schmidt von Wymeringhausen, Cruising, Collage, Zeichnung, Stempel, Schulstichheftung

VASiSTAS:
Trotzdem kommt erst einmal der Gedanke auf, dass abnormal etwas schlechtes ist.

Nori:
Ich habe vor allem bei den Ausstellungsanfragen gemerkt, dass manche den Titel als verletzend empfanden und meinten, dass sie nichts als „abnormal“ bezeichnen würden. Das ist auch nicht meine Motivation. Aber man muss die Grenzen erst einmal aufzeigen, um sie dann zu brechen. Das ist eben der Ansatz. Die Hauptpositionen beziehen dabei Murat (Önen), Silas und ich. Ich werde fünf Arbeiten auswählen, die sich mit dem Thema der eigenen Sexualität, dem Gefühl des Andersein, Verlorensein in dem Anderssein, beschäftigen.

„Es ist mir wichtig zu zeigen, dass man den Mut haben muss, an der eigenen Kunst dran zu bleiben, auch wenn man jetzt vielleicht nicht in das typische Muster reinpasst.“

Nori Blume, Non Boy, C-Print

VASiSTAS:
Es ist schwierig, den eigenen Geschmack erst einmal zu finden und sich dann auch noch zu trauen, ihn zu zeigen. Die generelle Angst Sachen zu zeigen, gerade vielleicht auch weil sie „explizit“ sind, ist da weit verbreitet. Vor allem wenn man dann dazu noch die potentielle Aussicht hat, als „abartig“ bezeichnet zu werden.

Nori:
Genau. Die großartigsten Künstler zur Zeit des Nationalsozialismus wurden als entartet bezeichnet. Die meiner Meinung nach langweiligste Malerei galt als die einzig wahre Kunst. Wenn die Ausstellung „Normale Kunst“ hieße, hätte auch keiner mitmachen wollen, weil ja keiner als gewöhnlich bezeichnet werden will.

„Deswegen kann man ja auch mit Stolz sagen „abnormale Kunst“, denn es geht ums anders sein, ums herausstechen.“

VASiSTAS:
Das erinnert mich an die damalige Impressionisten Ausstellung, als damalige Kritiker des Stils den Begriff „Impressionismus“ anfänglich einführten und es als Schimpfwort verwendeten. Das haben die Künstler genutzt und sich letzten Endes selbst als „Impressionisten“ tituliert. Ihr spielt ja in dem Sinne auch damit, wie die Gesellschaft eine Kunst mit solchen Sujets leider immer noch wahrnimmt. Wie kamst du auf die einzelnen Künstler?

Nori:
Das sind größtenteils Leute, die ich kenne oder deren Arbeiten ich seit längerer Zeit verfolge, deren Arbeiten mich auf eine Art berühren. Es sind ungefähr 20 Positionen vertreten. Murat, Silas und ich stellen die Hauptpositionen, zudem erwarten uns weitere tolle Arbeiten an der Wand und im Raum aus dem Bereich Fotografie, Malerei, Grafik, Video.

Nach dieser Ausstellung will ich mich vorerst wieder auf meine eigenen Arbeiten konzentrieren, vielleicht eine Einzelausstellung mit all meinen Arbeiten machen, die auch auf meinem Blog zu sehen sind. Die Galerie 196TM in der die Ausstellung stattfinden wird, ist noch recht neu. Es ist total super wie viel Vertrauen mir Johannes (Rosenbohm) entgegen bringt. „Abnormale Kunst“ wird die zweite Ausstellung der Galerie sein. Damit geht also viel Verantwortung einher und ich freue mich, dass mir Johannes die Gelegenheit zur Verwirklichung eines solchen Projektes gegeben hat.

Wenn Du jetzt Lust auf Noris Arbeiten und die Ausstellung bekommen hast: „Abnormale Kunst“ läuft noch bis zum 18. November in der Galerie 196TM“ . Mehr Infos zu Nori und ihrer Kunst findest du in ihrem Online-Portfolio bei uns oder  auf ihrer Webseite.

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